Nach Hamburger Islamisten-Demo: Großer Aufmarsch gegen das Kalifat

Vor einer Woche forderten radikale Islamisten in Hamburg ein Kalifat. Am Samstag demonstrierten rund 1.000 Menschen gegen Islamismus und Antisemitismus.

Menschen stehen mit vielen Fahnen auf einer Straße

Vor einer Woche standen hier rund 1.000 Islamisten: Demonstriende am Samstag am Steindamm in Hamburg-Mitte Foto: Jonas Walzberg/dpa

HAMBURG taz | Hunderte Menschen haben am Samstagmittag in Hamburg gegen ein Kalifat in Deutschland demonstriert. Unter dem Motto „Weder Kalifat noch Patriarchat, nur Einigkeit und Recht und Freiheit“ beteiligten sich zeitweise bis zu 1.000 Menschen an einer Kundgebung am Steindamm im Stadtteil St. Georg.

Dort hatten vor einer Woche ebenfalls rund 1.000 radikale Islamisten gegen die aus ihrer Sicht islamfeindliche Politik und Medienberichterstattung in Deutschland demonstriert und die Einführung eines Kalifats gefordert. Ein Kalif ist ein Alleinherrscher, der geistliche und weltliche Macht in sich vereint. Die von der Gruppe Muslim Interaktiv organisierte Demonstration hatte bundesweit Wellen geschlagen.

Hamburgs Polizeipräsident Falk Schnabel hatte sich im ZDF-Morgenmagazin dafür rechtfertigen müssen, dass er die Islamisten unter Berufung auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit gewähren ließ. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) fand es schwer erträglich „eine solche Islamisten-Demonstration auf unseren Straßen zu sehen“ und forderte ein sofortiges und hartes Durchgreifen bei Straftaten.

Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Lamya Kaddor, forderte zu prüfen, ob Muslim Interaktiv verboten werden könne. Schließlich stehe der Verein der islamistischen Organisation Hizb ut-Tahrir nahe, die von den Behörden als ausländische Terrororganisation eingestuft wird und in Deutschland nicht tätig sein darf.

AfD und Linke nicht dabei

Im Aufruf zur Gegendemonstration hatte es geheißen, man wolle ein Zeichen setzen „gegen Islamisten, die ganz unverhohlen die Scharia über das Gundgesetz stellen“, die das Grundgesetz als Wertediktatur diffamierten und „nicht nur den Ham­bur­ge­r:in­nen eine überaus archaische Idee von Geschlechterapartheid präsentieren“.

Initiiert wurde die Gegendemonstration vom Verein Säkularer Islam, der Kulturbrücke Hamburg und deren Initiative International Women in Power sowie der Kurdischen Gemeinde Deutschland.

Im Laufe weniger Tag schlossen sich zwei Dutzend weitere, im wesentlichen säkulare Organisationen an: Dabei waren die Deutsch-Israelische Gesellschaft, türkische, persische Gruppen und Frauengruppen sowie die in der Hamburgischen Bürgerschaft vertretenen Parteien mit Ausnahme der Linken und der AfD – wobei letztere erst gar nicht gefragt worden war. Auch nicht beteiligt waren der Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg und Schleswig-Holstein sowie die Ahmadiyya-Gemeinde.

Gegen migrantischen Rechtsextremismus

Ali Ertan Toprak, Bundesvorstand der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, sagte der taz, die demokratischen Parteien dürften den Kampf gegen den Islamismus nicht den Rechtsextremen überlassen. Dabei sei es wichtig, auch gegen mi­grantischen Rechtsextremismus wie den der Islamisten Flagge zu zeigen.

„Keiner schadet der islamischen Religion und den Muslimen mehr als die Islamisten selbst“, sagte Toprak am Samstag in seiner Rede bei der Kundgebung. Die Vertreter von Muslim Interaktiv nannte er „kleine Möchtegern-Azubi-Kalifen“ und forderte sie auf, den erhobenen Zeigefinger der Prediger herunterzunehmen.

Viele Muslime seien aus diktatorischen Regimen nach Deutschland geflohen, um hier sicher und in Freiheit in einer Demokratie leben zu können, sagte Toprak. Wer hier ein Kalifat fordere, fordere eine faschistische Diktatur. „Wenn es euch hier nicht gefällt, könnt ihr gerne in Afghanistan, Jemen oder Iran leben.“

CDU fordert Verbot

Die Fraktionschefs der in Hamburg regierenden SPD und Grünen, Dirk Kienscherf und Dominik Lorenzen, betonten, dass das Problem in der Bürgerschaft einen breiten Raum einnehme. Der CDU-Fraktionsvorsitzende und Landeschef Dennis Thering erinnerte daran, dass die CDU erst kürzlich in der Bürgerschaft ein Verbot der Gruppe Muslim Interaktiv gefordert habe, damit aber an der rot-grünen Mehrheit gescheitert sei. Islamismus müsse mit Taten bekämpft werden, so Thering.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries forderte erneut, die Forderung nach einem Kalifat unter Strafe zu stellen. Auch der Hamburger FDP-Abgeordnete Michael Kruse forderte staatliche Konsequenzen für islamistische Gruppen.

Ali Ertan Toprak, Bundesvorstand der Kurdischen Gemeinde Deutschlands

„Wenn es euch hier nicht gefällt, könnt ihr gerne in Afghanistan, Jemen oder Iran leben“

Dass sich die Linke in der Hamburger Bürgerschaft dem Aufruf nicht anschloss, begründete die Co-Fraktionsvorsitzende Cansu Özdemir gegenüber der taz damit, dass die Demonstration auf intransparente Weise zustande gekommen sei. Es habe kein Treffen, kein gemeinsames Papier gegeben. „Wenn ich auf einem Flugblatt stehe, würde ich gerne wissen, in welche Richtung es geht“, sagte Özdemir.

Die Linke beschäftige sich seit Jahren intensiv mit dem Thema im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Die wiederholten Demon­strationen, bei denen es in erster Linie um das Schicksal der Kurdinnen und Kurden, im weiteren Sinne aber auch um Deutschland gegangen sei, hätten jedoch bei anderen Parteien und Organisationen wenig Resonanz gefunden.

Auch islamische Gemeinden sind besorgt

Auch die Schura, der Rat der islamischen Gemeinden in Hamburg, hat die Kalifat-Demonstration von Muslim Interaktiv mit Sorge kommentiert. „Marginale Gruppen wie diese bewegen sich nicht innerhalb, sondern außerhalb der muslimischen Gemeinden“, kommentierte der Vorsitzende Fatih Yildiz. Sie lösten keine realen Probleme, sondern beförderten „die rechtspopulistische Instrumentalisierung von Flucht, Migration und Religion und verstärken eine Entfremdung aus der Gesellschaft“.

Dass die Schura den Aufruf nicht mitunterzeichnet hat, erklärt Yildiz mit Vorbehalten gegenüber den Initiatoren. Deren Anliegen sei zwar berechtigt, aber die Schura habe in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht. „Wir haben da kein gutes Gefühl“, sagt Yildiz. Rückständigkeit, etwa wegen seiner Haltung in der Kopftuchfrage, will er sich nicht vorwerfen lassen. „Wir möchten nicht, dass Islam mit Islamismus verwechselt wird“, sagt Yildiz.

Die Schura arbeite seit 20 Jahren am Thema Extremismus und habe diesen erfolgreich aus der Community ferngehalten. Der aktuelle Aufruf sei daher eine verpasste Chance, mehr Menschen zu mobilisieren. Zudem verschaffe er der Gruppe „mehr Aufmerksamkeit, als sie verdient“. (mit dpa)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.