Mental Health Coaches: Psychologische Aufklärung jetzt!

Das Familienministerium hat ein Modellprogramm gestartet, mit dem es die mentale Gesundheit von Schü­le­r*in­nen stärken will. Na endlich.

Kund sitzt alleine im Klassenzimmer.

Modellprogramm soll die mentale Gesundheit von Schü­le­r:in­nen stärken Foto: Thomas Imo/photothek/imago

Es war Corona und wir hatten eine Doppelstunde Bio, auf die sich niemand richtig vorbereitet hatte. Alle duckten sich weg, um nicht drangenommen zu werden. Irgendwann gab unsere Lehrerin auf und fragte uns stattdessen, wie es uns geht. Erst waren wir überrascht von ihrer Frage, dann fingen einige von uns an, über ihre Gefühle zu sprechen. Und was soll ich sagen: Das hat gut getan!

Okay, das war sicher nicht der einzige Moment in meiner Schulzeit, in dem sich mal eine Leh­re­r*in für unsere Psyche interessiert hätte, aber es war einer von wenigen. Und wenn sich mal jemand von den Lehrkräften dafür interessierte, dann kamen sie eher einzeln auf uns zu, als uns als Klasse zu adressieren, und auch nur dann, wenn sie besonders engagiert waren und auch die nötigen Kapazitäten dafür hatten.

Dabei hat man doch spätestens ab der Pubertät jede Menge Probleme. Es ist ja auch ganz schön herausfordernd, gleichzeitig nach der eigenen Identität zu suchen, seinen Platz in der Gruppe zu finden, sich zum ersten Mal zu verlieben, Klassenarbeiten zu schreiben und sich dann auch noch Sorgen darüber zu machen, wie es nach dem Abschluss weitergeht. Und im Fall meines Jahrgangs kam zu allem Überfluss die Pandemie hinzu.

Mental Health Coaches an Schulen

Kein Wunder also, dass Kinder und Jugendliche seit dem coronabedingten Homeschooling und den damit verbundenen Isolationserfahrungen viel häufiger an Depressionen, Angst- und Essstörungen erkrankt sind als noch vor ein paar Jahren, wie das Bundesfamilienministerium erst kürzlich wieder bestätigt hat.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Gleichzeitig werden viele mit ihren psychischen Problemen alleingelassen. Zumindest die, die aus Familien kommen, die ihnen aufgrund von finanzieller Not, mangelnder Kenntnis des Gesundheitssystems oder Sprachproblemen bei der Suche nach professioneller Unterstützung nicht wirklich helfen können. Und manchmal ist es ja auch das Elternhaus selbst, das der Grund dafür ist, dass es jemandem schlecht geht.

Deshalb ist es längst überfällig, dass das Familienministerium nun ein Modellprogramm gestartet hat, mit dem es die mentale Gesundheit von Schü­le­r*in­nen stärken will. Erreicht werden soll dies, indem Fachkräfte aus der So­zi­al­päd­agogik, Sozialarbeit und Psychologie an etwa 100 Schulen in Deutschland entsendet werden, wo sie der Schülerschaft als sogenannte Mental Health Coaches zur Seite stehen. Die Bundesregierung fördert das Programm mit 10 Millionen Euro. Umgesetzt wird es von den Jugendmigrationsdiensten.

Wenn es für Prävention schon zu spät ist

Schwerpunkt sollen diverse Gruppenangebote sein, in denen die Schü­le­r*in­nen mehr über Themen wie Resilienz, Selbstfürsorge, Depressionen oder Angststörungen erfahren.

Und was, wenn es für Prävention schon zu spät ist?

Dann sollen die Coaches dabei helfen, an die passende Therapie zu kommen, berichtet eine Sprecherin der Jugendmigra­tions­dienste. Ziel sei auch, schon bestehende Hilfsangebote in der Region besser zu vernetzen. Zunächst sei das Projekt für dieses Schuljahr angesetzt, eine Verlängerung sei aber möglich.

Das klingt erst mal super! Doch natürlich ist ein Programm mit 100 Schulen bei mehr als 32.200 Schulen mit rund 8,68 Millionen Schü­le­r*in­nen in Deutschland viel zu wenig.

Warum wird psychologische Aufklärung immer noch so klein gedacht? Und warum ist sie nicht längst ein fester Bestandteil des Lehrplans so wie Drogen- und Suchtprävention auch?

Ich finde, wir sollten nicht erst damit anfangen, wenn es zu spät ist.

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