Chronische Erkrankungen in Berlin: „Ich will keine Kämpferin sein“

Im She Said suchen Menschen mit chronischen Erkrankungen Unterstützung in der Gemeinschaft. Viele leiden unter Long Covid-Symptomen.

Frau die ihre Maske abzieht

„Für die anderen ist Corona vorbei, für uns nicht.“ Foto: Cézaro De Luca/dpa

BERLIN taz | Sie sei Workaholic und Partyholic gewesen, erzählt Daphne. Bis vor zwei Jahren, als sie an Corona erkrankte. Seitdem leidet sie unter Chronischem Fatigue Syndrom. „Mein Leben hat sich um 180 Grad gewendet“, sagt sie. Das verbindet alle, die sich am Sonntagmittag zum Treffen für chronisch kranke Menschen in der queerfeministischen Buchhandlung She Said am Kottbusser Damm versammelt haben.

Masken, Abstand, Hygienemaßnahmen: Es fühlt sich an wie eine Zeitreise zurück in die Pandemie. „Für alle ist Corona vorbei“, sagt Daphne. „Für uns nicht.“ Nicht alle sind erst seit der Pandemie erkrankt, andere leiden unter Lupus, Rheuma, Migräne, Fibromyalgie, ADHS, Autismus und nicht diagnostizierten chronischen Schmerzen.

„Ich bin seit 20 Jahren krank, ich weiß nicht mehr, wie es ist, gesund zu sein“, sagt Minnie. Immer wieder würden Freunde sie dazu drängen „Normale-Leute-Dinge“ zu machen, „aber ich probiere gar nicht mehr, ein normales Leben zu führen, weil es mir Schmerzen bereitet“, sagt sie. Die Finnin ist, wie viele der Anwesenden, erst vor einigen Jahren nach Berlin gezogen. Die Stadt konnte sie aufgrund ihrer Krankheit kaum erkunden, Anschluss hat sie nicht gefunden. Die wenigen Bekannten, die sie in Berlin hat, hätten kein Verständnis für ihren Zustand.

Sie sind frustriert, wütend und erschöpft, wenn sie über ihre Erkrankung sprechen, resigniert sind sie nicht. „Vor Kurzem wurde diagnostiziert, dass ich nie gesund werde“, sagt Sarah. Die Diagnose habe sie anfangs geschockt, mittlerweile helfe sie ihr, ihre Krankheit als Teil ihrer Identität zu akzeptieren. Für andere bedeutete die Diagnose vielmehr ein Ende der Bemühungen. Ärz­t*in­nen würden keine Untersuchungen mehr durchführen.

Ärzte schenken den Pa­ti­en­t*in­nen keine Aufmerksamkeit

Das nicht Ernstgenommenwerden von Ärz­t*in­nen ist eine Erfahrung, die alle teilen. „Ich bereite mich mental auf Arzttermine vor, um möglichst wenig Emotionen zu zeigen“, erzählt Minnie. Beim Verlassen der Praxis breche sie immer in Tränen aus. Immer wieder versagen die Stimmen der Betroffenen, immer wieder müssen welche gehen, weil ihre Kräfte sie im Stich lassen.

Auch Amtsärzte müsse man ständig überreden, dass das Leben, das sie führten, kein normales sei. „Die entscheiden anhand deiner Krankenakte, wie viel du arbeiten kannst“, erzählt Daphne. Ihr seien drei Stunden täglich attestiert worden, sie fühlt sich jedoch nicht arbeitsfähig. „Es ist hart, keine Aufgabe mehr zu haben, aber jeder Gedanke an Arbeit macht mir momentan furchtbare Angst“, sagt sie. Wie die meisten Anwesenden kann sie nicht studieren oder arbeiten.

Was tun, wenn die Kraft weder für Arbeit noch Sport oder Freunde reicht? „Mich machen schon Dinge glücklich, die für andere nichts sind“, sagt Minnie. Zum Beispiel eine Katze zu streicheln. „Die Leute wollen, dass ich eine Kämpferin bin, aber ich will keine Kämpferin sein.“

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