Buch über Zionismus und Künste: Die Janusköpfigkeit des Zionismus

Ita Heinze-Greenberg legt mit „Zuflucht im Gelobten Land“ ein Buch zum Verhältnis von Architektur und Literatur in Palästina und Israel vor.

Wie dringend nötig eine basale Zionismuskompetenz für Gegenwartsdiagnosen ist, hat die unterkomplexe, einer Delegitimierung des Staates Israel zuarbeitende Rede von „Siedlerkolonialismus“ gezeigt, die nach den Hamas-Attacken auf Israel vom 7. Oktober 2023 weltweit ins Kraut geschossen ist. Einen geeigneten Zionismus-Schnellkurs bietet vor diesem Hintergrund Ita Heinze-Greenbergs Buch „Zuflucht im Gelobten Land. Deutsch-jüdische Künstler, Architekten und Schriftsteller in Palästina/Israel“.

Die Publikation der Architekturhistorikerin, die zwischen 2012 und 2020 am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) der ETH Zürich unter anderem als Titularprofessorin für die Architekturgeschichte der Moderne lehrte, stellt das kulturelle Projekt des Zionismus bis weit in die Zeit nach der Staatsgründung Israels dar – und erweitert den Architekturdiskurs auf gewinnbringende Weise um den Aspekt der Literatur.

Ita Heinze-Greenberg: „Zuflucht im Gelobten Land. Deutsch-jüdische Künstler, Architekten und Schriftsteller in Palästina/Israel“. wbg Theiss Verlag, Freiburg 2023, 320 Seiten, 29 Euro

Beiläufig, aber bestimmt attestiert Heinze-Greenberg etwaigen Versuchen einer postkolonial inspirierten Stadtgeschichtsschreibung – namentlich nennt sie Sharon Rotbards 2005 auf Hebräisch und 2015 auf Englisch erschienenes Buch „White City, Black City: Architecture and War in Tel Aviv and Jaffa“ –, dass sie „im Schwarz-Weiß-Duktus eine Opfer-Täter-Relation zwischen Jaffa und Tel Aviv“ konstruieren würden.

Derlei kommentiert Heinze-Greenberg lapidar: „Die von Rotbard unter kolonialistischem Gebaren abgehefteten Europäismen halfen nicht nur der Familie Feuchtwanger beim Prozess der Beheimatung.“

Der Westen und Palästina

Zudem greift sie in ihren Zio­nismus-Analysen unter anderem auf die von Edward Said betriebene kritische Rede von der „Orientalisierung des Orients“ zurück – aber nur, um eine solche Agenda an die Eng­län­de­r*in­nen outzusourcen, die im Fahrwasser der Arts-and-Crafts-Bewegung ihr Mandatsgebiet Palästina vor den Einflüssen der Moderne schützen wollten.

In diesem Zusammenhang ist beispielsweise der Architekt Charles Robert Ashbee zu erwähnen, der in seinem „Palestine Notebook“ unter der Überschrift „Allah and the Machines“ paternalistisch schreibt: „The future of the West may lie with the machines, but it will not be the future of Palestine.“

Schwarz Weiß Foto von einer großen Straße

Tel Aviv, Dizengoff­straße um 1934 Foto: akg/picture alliance

Für die deutschsprachigen Zio­nis­t*in­nen und Emigrant*innen, die auch – mit besten Absichten – etwas betrieben, was als „Orientalismus“ kritisiert werden könnte (wenngleich in einer die Technik und die wirtschaftliche Zukunft des Landes stärker befördernden Variante als die englische), reserviert Heinze-Greenberg den harmloseren Vorwurf „Historismus“.

Damit meint sie etwa die Herangehensweise eines Alexander Baerwald. Der gebürtige Berliner, der mit Albert Einstein Streichquartett spielte, arbeitete im Auftrag des Hilfsvereins der deutschen Juden ab 1909 am ersten Hochschulbau der Region: der „Anstalt für technische Erziehung in Palästina“ in Haifa, dem späteren Technion.

Bodenständig und orientalisch

Das prächtige Gebäude, das wie Gottfried Sempers ETH-Gebäude herrschaftlich an einem Berghang aufragt, in seinem Grundriss und seiner Baumassenverteilung aber Anleihen an Richard Lucaes Technischer Hochschule Berlin-Charlottenburg macht, wurde 1912 fertig gestellt. Baerwald, so Heinze-Greenberg, sprach sich „mit großer Vehemenz gegen den Transfer europäischer Baustile nach Palästina“ aus.

1926 schreibt der Architekt: „Der in Palästina bauende Architekt muss sich entscheiden: Entweder morgenländisch oder abendländisch zu bauen. Der Verfasser hat sich mit aller Entschiedenheit zur morgenländischen Bauweise bekannt. Es gibt für ihn keine Frage, dass bodenständig gebaut werden muss, da die orientalischen Bauten die klimatischen Anforderungen restlos erfüllen und mit der Landschaft zum einheitlichen Eins verschmelzen. Selbstverständlich ist dabei, dass die technischen und hygienischen Erfahrungen des Abendlandes benutzt werden.“

Mit der Relativierung der Schrift zugunsten der Architektur gerieten die Schrift­stel­le­r*in­nen ins Abseits

Wenngleich spätestens in den 1930er Jahren derlei Stildebatten überholt waren, lebten sie doch in einschlägigen Äußerungen etwa eines Erich Mendelsohn weiter. Dieser 1933 von Berlin zunächst nach England und 1935 nach Palästina emigrierte Architekt, der in Tel Aviv zu seinem großen Missmut viele in seinem Geiste errichteten Gebäude mit mendelsohnesk abgerundeten Ecken vorfand, wandte sich 1940 in seinem Text „Palestine and the World of Tomorrow“ kritisch gegen derlei Tendenzen und beklagt:

„Tel Aviv schneidet sich selbst vom arabischen Hinterland ab und entwickelt sich zu einem hundertprozentig jüdischen Geschäftszentrum mit eigenem Hafen, eigener Sprache, eigener Kleidung. Es wird zu einer Enklave inmitten der arabischen Welt.“

Ein Paradigmenwechsel

Mendelsohn, so macht Heinze-Greenberg deutlich, liebte die arabischen Dörfer Palästinas mit ihren Kuppeldach-bewehrten Häusern: „Über die Rezeption der regionalen arabisch-semitischen Kultur des Landes Palästina erhoffte Mendelsohn sich, zu seiner eigenen jüdisch-semitischen Identität und ihren Wurzeln zurückzufinden. Es ging ihm darum, die jüdische Nation kongenial im orientalischen Kontext zu verorten.“

Konsequenterweise zog Mendelsohn mit seiner Frau Luise nicht nach Tel Aviv, sondern nach Jerusalem, und zwar in eine beengte arabische Windmühle mit Blick auf die Altstadt.

Zu den besten und theoretisch ergiebigsten Passagen von „Zuflucht im Gelobten Land“ gehören jene über das Verhältnis von Sprache beziehungsweise Literatur und Architektur. Der in der Staatsgründung Israels kulminierende Zionismus brachte einen fundamentalen Paradigmenwechsel des mit Israel sich identifizierenden Judentums mit sich, denn, so Heinze-Greenberg: Mit ihm wurde die Buch-Orientierung, die seit der Zerstörung des Ersten Salomonischen Tempels im Jahre 587 v. u. Z. vorherrschte, zugunsten der Bau-Orientierung relativiert.

Doch mit der zionistischen Relativierung der Schrift zugunsten der Architektur gerieten die emigrierten Schrift­stel­le­r*in­nen ins Abseits, zumal sie sich inmitten des neuen hebräischen Imperativs sprachlich kaum noch zurechtfinden konnten. Während Ar­chi­tek­t*in­nen mit der großmaßstäblichen Schaffung neuer Lebenswelten beauftragt wurden, schlitterte die schreibende Zunft – darunter Else Lasker-Schüler und Arnold Zweig – in tiefe Lebenskrisen.

Sprache und Architektur

Nichts könnte also in dem Projekt des Zionismus vor allem in der Phase ab den 1930er Jahren weiter voneinander entfernt liegen als Sprache und Architektur. Entsprechend konkludiert Heinze-Greenberg, dass sich die Architektur auf einer ästhetischen Tabula rasa artikulierte, „die Geschichtslosigkeit zur Tugend erklärte“, während das jüdische Gemeinwesen in Palästina mit dem Hebräischen auf seine biblische Vergangenheit zurückgriff.

Es sind Beobachtungen wie diese, die die radikale Janusköpfigkeit des fortgeschrittenen Zionismus deutlich und „Zuflucht im Gelobten Land“ zu einem herausragenden Buch machen.

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