Autorin Sophia Fritz: „Sehnsucht nach mehr Ehrlichkeit“

Autorin Fritz findet den Begriff „toxische Weiblichkeit“ aus feministischer Sicht hilfreich. Er bezeichne Verhaltensmuster, die Solidarität verhinderten.

Sophia Fritz

„Bevor jetzt die in ihrem Ego gekränkten Männer sich den Begriff aneignen, müssen wir ihn uns nehmen“, sagt Sophia Fritz Foto: Eno de Wit

taz: Seit ein paar Jahren hat das Wort „toxisch“ Konjunktur: Männlichkeit, Beziehungen, Arbeitsklima wurden damit schon gelabelt. Sie sprechen nun auch von „toxischer Weiblichkeit“. Wie kamen Sie darauf, Frau Fritz?

Sophia Fritz: Ich habe den Begriff das erste Mal vor knapp zwei Jahren bei Instagram gelesen und hatte sofort ein ungutes Gefühl. Denn er wurde in einem tendenziell rechten Umfeld genutzt. Ab da war ich mir sicher, dass der Begriff noch an Bedeutung gewinnen wird. Denn wenn wir jahrelang Männer kritisieren und unter dem Begriff toxische Männlichkeit patriarchale Muster dekons­truieren, ist es klar, dass der Fokus irgendwann umschwenkt. Und ich dachte bevor jetzt die in ihrem Ego gekränkten Männer kommen und sich den Begriff aneignen, müssen wir ihn uns nehmen und ihn feministisch prägen.

Jg. 1997, ist Autorin, Sterbebegleiterin und Tantramasseurin.

„Toxische Weiblichkeit“. Hanser Berlin, 22 Euro

Und ist das ungute Gefühl jetzt verschwunden?

Ja. Mein Unbehagen kam noch aus einer anderen Ecke, nämlich dass es mich gefuchst hat, dass ich nicht wusste, ob ich selbst toxisch weiblich bin. Auch als ich das Buch gepitcht und Freundinnen davon erzählt habe, hat niemand entspannt auf ihn reagiert. Es gab Befürchtungen, dass jetzt vom Feminismus kaschierter Frauenhass kommt oder 200 Seiten Selbstoptimierung. Oder eine Gleichsetzung von toxischer Weiblichkeit und Männlichkeit, dabei ist letztgenannte viel tödlicher.

Sie haben sich trotzdem für diesen Begriff entschieden. Warum nicht so etwas wie „unsolidarische Weiblichkeit“?

Da fehlt mir der Aspekt der Gefahr. Denn toxische Weiblichkeit ist zwar nicht so gefährlich wie toxische Männlichkeit. Aber es geht ja nicht nur darum, dass Frauen klischeehaft manchmal etwas zu nett sind.

Worum geht es denn?

Es geht um Verhaltensmuster, die uns von wirklichem Vertrauen und echter Solidarität abhalten. Toxische Männlichkeit verortet sich tendenziell immer über dem anderen, in seinem machohaften und einnehmenden Auftreten. Es geht also darum, eine Machtstellung zu verteidigen. Deswegen ist sie wesentlich gefährlicher als ­toxische Weiblichkeit, wo es öfter darum geht, durch Anpassung und Gefälligkeit ein Gefühl von Sicherheit zu erzeugen. Doch auch damit halten wir unbewusst Machthierarchien und Strukturen aufrecht, die wir vielleicht hinterfragen könnten.

Sie kritisieren in Ihrem Buch, dass sich am Patriarchat nichts ändern wird, wenn wir als Frauen jede Verantwortung von uns weisen und uns nur als „unschuldige, weil strukturell benachteiligte Frauen“ sehen. Doch die Benachteiligung denken wir uns ja nicht aus.

Natürlich nicht. Ich sehe dieses Opfer-Narrativ auch ambivalent. Die Opferhaltung ist wichtig, um Täterstrukturen oder auch rassistische oder ableistische Strukturen sichtbar zu machen. Dafür braucht es unbedingt Stimmen von Betroffenen. Gleichzeitig habe ich im persönlichen Kontext oft das Gefühl, dass eine Opferhaltung unreflektiert glorifiziert und verbreitet wird. Auch bei Stars wie Olivia Rodrigo oder Taylor Swift, die in ihren Liedern davon singen, wie sie verlassen und als arme Opfer zurückgelassen werden. Wir lieben diese Good-girl-meets-bad-boy-Geschichten, romantisieren die Abhängigkeit und übernehmen das Bild der Frau, die vom Mann gerettet werden will. Und das ist eine Kultur, die aktiv von Frauen reproduziert wird und die wir so an junge Frauen weitergeben.

Aber es kann uns als Frauen auch helfen, uns als Opfer sichtbar zu machen, oder?

Ja, wie MeToo gezeigt hat, können wir als Frauen uns unheimlich solidarisch zeigen. Weil wir wissen, diese Form der sexualisierten und physischen Gewalt kann auch mir passieren, fühlen wir uns einander nah. Diese Solidarität ist etwas, das ich in männlich geprägten Kontexten nicht wahrnehme. Dass Männer für andere Männer mitfühlen, zum Beispiel, weil andere Männer in den Krieg ziehen müssen, häufiger an Suiziden sterben oder ein Großteil der Gefängnisinsassen männlich ist. Wo bleibt da Solidarität und Mitgefühl?

Trotz allem plädieren Sie dafür, Frauen mehr in die Pflicht zu nehmen. Zum Beispiel, wenn es um Mainsplaining geht. Dass es natürlich nicht cool ist, wenn Männer Frauen die Welt erklären wollen, aber Frauen auch selbst schuld sind, wenn sie weiter zuhören. Tragen wir als Frauen also einen gleichen Anteil an der Verantwortung, wenn Männer sich zu viel Raum nehmen?

Das kommt immer auf die Situation an. Ich wollte keinen Ratgeber schreiben, in welcher Situation man sich wie verhalten soll. Und sage auch nicht, wie andere Feministinnen, dass Frauen einfach ihre Potenz finden und sich wehren sollen. Denn dabei negieren sie, in was für Strukturen wir leben und welche Denkmuster uns bis heute prägen. Aber gleichzeitig muss man schauen: Wo bin ich unehrlich mit mir? Also: Wo könnte ich wirklich einfach gehen und es wäre mir nur unangenehm, nicht aber gefährlich, mit meiner Rolle zu brechen?

Sie haben fünf Rollen herausgearbeitet, in denen sich Verhaltensweisen von toxischer Weiblichkeit zeigen: Das gute Mädchen, die Powerfrau, die Mutti, das Opfer und die Bitch. Wie kamen Sie auf diese Typen?

Das sind alles Begriffe, die ich ablehne und nicht als Selbstbezeichnungen nutzen würde, aber mit denen viele schon einmal bezeichnet wurden. Sie sind Fremdzuschreibungen; ein Zeugnis unserer misogynen Gesellschaft. Ich habe geguckt, welche weiblichen Prägungen Augenhöhe verhindern. Also: Wann agiere ich als „gutes Mädchen“ oder als „Mutti“, wo ich mich unterordne. Wann als „Powerfrau“ oder als „Bitch“, wo ich mich über andere stelle und mit Beschämungen arbeite. Und ich wollte gucken, wo in diesen frauenfeindlichen Aussagen auch Ressourcen stecken.

Und wo versteckt sich beim „guten Mädchen“, das es allen recht machen möchte, die Ressource?

Ein starkes Einfühlungsvermögen. Dass ich zum Beispiel in sozialen Situationen schnell die Bedürfnisse anderer Personen mitlesen und erahnen kann, wer mir zugewandt ist und in welcher Beziehung gerade Spannung liegt. In dem Vorwurf „ein alter weißer Mann“ zu sein, steckt auch der Vorwurf, einen Raum nicht lesen zu können. Aber ich möchte, dass gar nicht mehr als Vorwurf gegen Männer formulieren, sondern herausarbeiten, wie interessant das ist, dass viele Frauen da viel mehr Fähigkeiten haben. Und das sollten wir als Ressource anerkennen.

Haben Sie alle fünf Prototypen in Ihnen entdeckt?

Ja, klar. Wie ich als „Powerfrau“ versuche, Kontrolle über mein Aussehen oder meinen Job zu behalten. Oder durch „Mütterlichkeit“ versuche, mir Sympathien von anderen einzuholen. Mir hat es geholfen, in einem Prozess der Selbstreflexion diese Begriffe zu nutzen, um zu verstehen, wann ich mich wie verhalte.

Gleichzeitig bergen die Begrifflichkeiten die Gefahr, dass ich jetzt anfange, die Verhaltensweisen von Frauen um mich herum als toxisch zu identifizieren, oder?

Ich fände das richtig gut, wenn das passiert. Nur nicht als Fazit. Stattdessen helfen die Stereotypen uns hoffentlich, ohne Beschämungen ins Gespräch miteinander zu kommen. Bei den Lesungen kommen viele Frauen auf mich zu und erzählen mir von Gesprächen mit ihren Freund_innen oder mit ihren Müttern.

Wie kann beispielsweise das Bild der „Mutti“ dabei helfen?

Gerade bei der „aufopferungsvollen Mutter“ ist es so. Wenn ich einer Frau begegne, die mich bemuttert, dann nervt es mich vielleicht, aber ich habe nicht das Recht, genervt zu sein, weil sie sich ja für mich vermeintlich nur aufopfert. Doch wenn ich die Strukturen dahinter kenne und weiß, dass es ein tendenziell toxisches Verhalten ist, bei dem sich eine Frau über eine andere stellt, kann ich das vielleicht besser einordnen.

Sollten wir Frauen kritischer im Umgang werden?

Unbedingt. Kritik ist existenziell wichtig, um in eine richtige Solidarität zu kommen. Ich habe die Sehnsucht danach, dass wir uns als Frauen untereinander mehr Ehrlichkeit zumuten. Nicht aus einer Abhärtung heraus, sondern weil ich in unsere Selbstsicherheit und unsere Liebesfähigkeit vertrauen mag. Das fehlt mir manchmal in feministischen Kreisen. Ich finde es schade, dass ausgerechnet das Kreise sind, in denen ich schon häufiger das Gefühl hatte, ganz viel falsch machen zu können. Ich saß schon öfter in Gender-Seminaren, die sich so über das „Richtig“-liegen und „Opfer“-Dasein definiert haben, dass keine Fehlerfreundlichkeit möglich war. Dabei bräuchten wir die dringend, wenn wir uns in feministischen Räumen sicher und wohlfühlen wollen.

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