Wegen „Beleidigung“ Erdogans: Chefredakteur droht Prozess
Er soll sich in einem Artikel spöttisch über eine Rede des türkischen Präsidenten geäußert haben. Nun erwartet den „Hürriyet“-Chef womöglich ein Verfahren.
ISTANBUL dpa | Dem Chefredakteur der türkischen Zeitung Hürriyet, Sedat Ergin, droht ein Verfahren wegen Beleidigung des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Grund sei ein Artikel des Journalisten vom September, wie das Blatt berichtete. Dabei solle sich Ergin spöttisch über eine Rede Erdogans zu einem Angriff der Kurdischen Arbeiterpartei PKK auf türkische Soldaten geäußert haben.
Im Falle einer Verurteilung drohen Ergin fünf Jahre Haft. Zwischen Hürriyet und der Regierung war es immer wieder zu Konflikten gekommen. Die Hürriyet gehört zur Dogan-Gruppe und ist eine der größten Zeitungen in der Türkei. Ihre Redaktion wurde im Herbst zwei Mal von einem Mob aus Anhängern der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP angegriffen.
Ergin teilt das Schicksal weiterer Journalisten, denen in der Türkei der Prozess gemacht werden soll. So waren vergangenen Monat der Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet, Can Dündar, und sein Kollege Erdem Gül verhaftet worden.
Ihnen werden unter anderem Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Spionage vorgeworfen. Hintergrund ist ein Bericht vom Sommer über angebliche Waffenlieferungen der Türkei an Extremisten in Syrien. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte persönlich Strafanzeige gestellt.
Leser*innenkommentare
Christian
Gibt's für Majestätsbeleidigung einen eigenen Straftatbestand in der schönen neuen Türkei oder muss Erdogan sich das gleiche gefallen lassen wie normale Staatsbürger?
christine rölke-sommer
wohlan:
sowohl in 'schland (u.a.) als auch in der Türkei gibt es solche merkwürdigen staatsschutzdelikte.
allerdings haben sie unterschiedliche (entstehungs)geschichten. während in 'schland der 90 StGB auf die wilhelminische majestätsbeleidigung zurückgeht, verhält es sich in der Türkei anders. dort geht es nicht um majestätsbeleidigung (oder gar die des propheten, hihi) sondern um die von Atatürk. und der orientierte sich nicht an kaiser Wilhelm - sondern am Duce.
es geht also nicht um die majestät, sondern um das türkentum.
das darf ein Erdogan ebenso für sich in anspruch nehmen wie ein Gauck, wenn ihn denn dieser teufel ritte, die majestät.
von diesen jeweiligen ausgangspunkten aus ist das eine wie das andere zu kritisieren.
auch um den preis, dass das bild des 'guten' Atatürk - und das der 'guten' Weimarer Reichsverfassung - ein paar 'eintrübungen' hinnehmen muß.
christine rölke-sommer
@Christian warum soll es in der türkei nicht geben, was es in 'schland http://dejure.org/gesetze/StGB/90.html gibt?
Jürgen Matoni
Wie immer haben Sie die passenden Zitate zur Hand:
"(4) Die Tat wird nur mit Ermächtigung des Bundespräsidenten verfolgt." Schon mal darüber nachgedacht?
christine rölke-sommer
ich schon.
und Sie?
Heinz Günter Gruse
@christine rölke-sommer Wenn das ihr einziges Argument ist, haben Sie nichts von dem verstanden, was in der Türkei abgeht - und sollten besser schweigen.
christine rölke-sommer
junger mann
ich habe christians frage unter hinweis auf "unser" StGB beantwortet. also damit, dass es auch bei uns immer noch "Majestätsbeleidigung" als gesonderten straftatbestand gibt.
wenn Ihnen diese auskunft nicht gefällt, dann beschweren Sie sich bitte beim gesetzgeber - statts mir einen maulkorb verpassen zu wollen.
im übrigen und obwohl es Sie garnichts angeht halte ich solche straftatbestände (und ähnliche, die es mit dem verunglimpfen von verfassungsorganen und dergleichen haben, für milde gesprochen überholt. und das nicht nur in der Türkei sondern auch in 'schland (und andernorten).
9943
So langsam wird es aber wirklich Zeit für den Eintritt der Türkei in die EU.