Tele-Medizin: Chatten bis der Arzt kommt

In Osnabrück bietet ein Arzt eine Video-Sprechstunden an. Die Telemedizin könnte in ländlichen Gebieten Niedersachsens helfen, Menschen besser zu versorgen

Ist das die Zukunft der Medizin? In ländlichen Gebieten könnte Telemedizin helfen, den Mangel an Ärzten auszugleichen Foto: Daniel Naupold/dpa

OSNABRÜCK taz | Vier, drei, zwei, eins – auf dem Computerbildschirm zählen die Sekunden runter. Dann geht ein Fenster auf und lächelnd schaut der Arzt Micha Neubert in die Kamera. Der Mann im weißen Kittel fragt, wie es seinem Patienten geht. Die Video-Sprechstunde kann beginnen.

Seit Jahresanfang macht der Osnabrücker Allgemein- und Arbeitsmediziner dieses Online-Angebot. Seine PatientInnen können sich den Weg in die Praxis und das Sitzen im Wartezimmer zwischen anderen hustenden und schniefenden Kranken sparen. Stattdessen melden sie sich auf einer Online-Plattform an und machen wie in der analogen Welt einen Termin mit Neubert.

„Ich hatte das gedanklich schon länger in der Pipeline“, sagt Neubert über die Video-Sprechstunde. Seine analoge Sprechstunde ist gerade zu Ende, die letzten PatientInnen haben die Praxis in der Osnabrücker Innenstadt verlassen. Auf einer Messe in Düsseldorf habe er die Online-Plattform Patientus entdeckt, eine von mehreren in Deutschland, die den technischen Rahmen für Video-Sprechstunden anbieten. Die ÄrztInnen schließen ein Abonnement mit dem Anbieter ab, die PatientInnen nutzen das Online-Angebot umsonst.

Wichtig sei für ihn, dass die Plattformen Datensicherheit garantieren, so der 44-jährige Mediziner. Schließlich sollen keine Dritten das Gespräch verfolgen können. Dafür sorgt eine Peer-to-Peer-Verschlüsselung. Die PatientInnen nehmen zum vereinbarten Zeitpunkt wie beim Online-Banking über eine TAN-Nummer Kontakt zu Neubert auf.

Die Telemedizinmacht es möglich, räumliche und zeitliche Distanzen zu überbrücken.

Das Land Niedersachsenunterstützt das Oldenburger Telemedizin Netzwerk, das über digitale Medien die Behandlung in Offshore-Windparks verbessern will.

Passiertdort MitarbeiterInnen ein Unfall, stellen ÄrztInnen in Oldenburg über Video eine erste Diagnose, während der Rettungshubschrauber noch unterwegs ist.

Eigentlich habe er warten wollen, bis es auch eine App der Plattform gibt. Das hätte es dem Arbeitsmediziner ermöglicht, auch von unterwegs aus Kontakt zu PatientInnen in Betrieben aufzunehmen. Überhaupt macht die Online-Sprechstunde die Behandlung flexibler. Wenn er etwa am Wochenende kon­trollieren wolle, ob eine Wunde gut verheilt, könne er von zuhause aus Kontakt aufnehmen, so Neubert.

Die Online-Sprechstunde gilt als Modell der Zukunft. Das bestätigt auch Detlef Haffke, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN). „Gerade in ländlichen Gebieten macht das Sinn“, erklärt er. Denn in Gegenden wie etwa dem Emsland sei der Weg zur nächsten Praxis oft weit und die Facharztdichte gering.

Allerdings eignet sich die Video-Sprechstunde nicht für jede Behandlung. Das Fernbehandlungsgesetz verbietet es etwa, dass ÄrztInnen eine Erstdiagnose über den virtuellen Kontakt stellen dürfen. „Sie müssen den Patienten schon mal vorher gesehen haben“, so Haffke. Auch eine Zweitmeinung können sich Erkrankte über die Video-Sprechstunde einholen.

Außerdem müssten die technischen Voraussetzungen da sein, sagt der Sprecher. Nicht nur der Arzt muss sich bei einem Dienstleister anmelden. Auch der Patient muss Zugang dazu haben und dafür einigermaßen sicher mit dem Internet umgehen können. Und am Ende, so Haffe, sei für ÄrztInnen wichtig: „Nehmen sie mehr ein als sie investieren?“

Das ist derzeit nicht so. Micha Neubert und seine KollegInnen bieten die Online-Sprechstunde umsonst an. Erst am 1. Juli, wenn das E-Health-Gesetz in Kraft treten soll, können sie auch diese Leistung abrechnen.

Das Interesse an digitalen Angeboten in der Medizin ist da. Micha Neubert hat festgestellt, dass vor allem ältere Patienten in seiner Praxis nach der virtuellen Sprechstunde fragen. Auch die Krankenkassen befassen sich mit dem Thema. „Das Interesse ist bei den Versicherten da“, sagt Inken Holldorf, Leiterin der Techniker Krankenkasse (TK) in Niedersachsen. 82 Prozent der Befragten einer TK-Studie glauben, dass Online-Kommunikation mit Arztpraxen in zehn Jahren Alltag ist. 58 Prozent glauben außerdem, dass auch der Online-Chat in Zukunft zur Behandlung gehört. Für wünschenswert halten das allerdings nur 31 Prozent.

Und was sagt der Arzt dazu? Glaubt er gar, eines Tages durch einen Computer ersetzt werden zu können? „Ich hoffe nicht“, sagt Neubert. Allerdings geht er auch nicht davon aus, dass der Chat den Besuch ersetzen kann. Zur Arzt-Patienten-Beziehung gehöre der persönliche Kontakt und die Behandlung mit „allen Sinnen“. Manchmal sei es auch wichtig, dass er einfach „Das wird schon wieder“ sage und jemandem beruhigend auf die Schulter klopfe. Diesen menschlichen Faktor könne ein Computer nicht ersetzen.

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