Alltag und Terrorismus: Alarm am Küchentisch

Drei Generationen sitzen zusammen. Plötzlich werden Anschläge zum Thema. Alle reagieren anders. Was macht der Terror mit unserem Alltag?

Eine angeschnittene Erdbeertorte steht auf einem Küchentisch

Erst die Torte, dann die Angst Foto: suze / photocase

„Der Anschlag wird kommen“, sagt der Freund meiner Mutter und nippt an einer geblümten Tasse. Auf seinem Teller liegt ein halbes Brötchen mit Butter. Dazu gibt es bunt bemalte Eier, Biolachs und selbst gebackenen Käsekuchen. Die Sonne scheint warm durch die weißen Gardinen. Trotzdem steht die Heizung auf fünf. Wir sind bei Oma zu Besuch, Ostersonntag, Brunch. Drei Generationen haben sich in einem kleinen Dorf im Landkreis Bad-Kreuznach versammelt. Früher sprachen wir hier über die Familie, Kochrezepte oder Politik. Heute ist das Thema ein anderes: Terror, Angst und der Umgang mit omnipräsenter Anschlagsgefahr.

Am Tischende sitzt meine Großmutter, 94 Jahre alt, die Haare zum Dutt frisiert. Sie hat sich schick gemacht. Oma war Hausfrau, Ehefrau und Trümmerfrau nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie weiß, wie sich explodierende Bomben anfühlen. Sie hat es erlebt, damals in Hamburg. Rechts neben ihr sitzen meine Mutter und ihr Freund, beide Mitte 50, beide mitten im Leben. Sie kennen keinen Krieg. Viele von ihrer Generation tragen aber die Traumata ihrer Eltern noch in sich.

Meiner Oma gegenüber pellt mein Bruder gerade ein Ei, meine Schwester schenkt Wasser nach. Beide sind 23 Jahre alt. Dazwischen sitze ich. Krieg kennen auch wir nicht. Dafür begleitet uns der Terror, seit wir denken können: New York, London, Paris, Brüssel, München, Istanbul und Ankara. Wir sind global vernetzt, kennen überall Leute und schreiben nach Anschlägen oft Nachrichten in die Welt: „Geht’s dir gut?“ – „Gib mir ein kurzes Zeichen!“. Bisher hat es niemanden getroffen, der uns nahestand. Bisher.

Heile Welt

Im Haus meiner Oma ist die Welt eigentlich noch heil. Ein Schlagersender dudelt in der Küche. Internet gibt es hier nicht. Trotzdem dauert es nur wenige Minuten, bis wir in diesem geschützten Raum vom „Guten Appetit“ bei Selbstmordattentätern gelandet sind. Eine knappe Woche zuvor hatten sich in Belgien Männer in die Luft gesprengt, über 30 Menschen sind dabei gestorben. Ein weiterer Anschlag auf der inzwischen langen Liste. Seit Wochen, seit Monaten, eigentlich seit Jahren zirkuliert der Begriff „Terrorgefahr“ durch die Medien.

Die Angst, dass es Angehörige, Freunde oder einen selbst treffen könnte, zieht ein in die Wohn- und Esszimmer. Sie kommt durch den Fernseher, das Radio, das Internet. In Deutschland sei die Anschlagsgefahr „sehr, sehr hoch“, sollen Sicherheitsbeamte kürzlich der Zeitung Die Welt gesagt haben. Innenminister Thomas de Maizière warnt. Das Land, in dem wir leben, sei „erklärtes und tatsächliches Ziel dschihadistisch motivierter Gewalt“. Diese Nachrichten gehen seit Januar durch die Medien.

„Macht euch das Angst?“, will ich von meiner Familie wissen. Und: Was bedeutet eine „Terrorwarnung“ eigentlich? Sollen wir uns jetzt anders verhalten? Was macht das mit euch?

Omas Kriegserinnerungen

Für meine Oma fühlt sich der Terror an wie Krieg. „So etwas darf nie wieder passieren“, sagt sie. Ihre faltigen Hände zittern jetzt. Nach den Terroranschlägen von 9/11 kamen die Bilder aus dem Krieg zum ersten Mal wieder hoch. Ihr Körper hatte so stark auf den Schock, die Bomben, die Toten im Fernsehen reagiert, dass sie danach ins Krankenhaus musste. Die Erinnerungen an die Leichen und das Leid waren zu mächtig.

Jeder Terroranschlag versetzt meine Oma zurück in den Weltkrieg. Auch jetzt nach Brüssel sprudelt aus ihr heraus, was damals passierte, 1939, als ein guter Freund zu ihrem Vater gesagt habe „Wir sind im Krieg“. Zwei Tage später war er tot. „Das darf nicht mehr passieren“, sagt sie noch einmal. Sie legt das angebissene Brötchen zurück auf den Teller. Ihre Brust hebt und senkt sich schnell. Ich will sie beruhigen, weiß aber nicht, wie. „Wir müssen alles tun, um das zu verhindern“, sagt sie. Aber wir am Esstisch haben keine Idee, wie wir das machen sollten. „Darüber reden“, ist Omas Idee.

Wir setzen noch einen Kaffee auf. Draußen zwitschern die Vögel, der kleine Bach plätschert vor sich hin. Wipfel der Tannen wiegen im Wind. Der Frühling ist da. In Omas Esszimmer ist die Stimmung angespannt. „Ich bin mir sicher, dass Deutschland in diesem Jahr dran ist“, sagt der Freund meiner Mutter. Er redet sich in eine Mischung aus Rage und Panik. Oma und ihn hat die Angst im Griff. Sie lassen sich mitreißen von Bildern aus der Vergangenheit, vom Alarmismus in den Medien, von verschärften Sicherheitsvorkehrungen, von Terrorgefahr an Bahnhöfen, Flughafen, öffentlichen Plätzen.

Meine Mutter versucht zu beschwichtigen, lehnt sich zurück, verschränkt die Arme „Ich habe mich entschieden, die Angst nicht zuzulassen“, sagt sie. Ich glaube ihr das so halb. Sie erklärt: Erstens würden die Terroristen genau das bezwecken, zweitens würde sie darüber krank werden. Drittens: „Ich würde aus der Angst um meine Kinder und die Familie nicht mehr rauskommen.“ Angst helfe nie weiter, sie lähme nur. Trotzdem sitzt diese Angst hier mit am Tisch, huscht von Kopf zu Kopf, macht sich breit, wird mal weggeschoben, mal ignoriert, mal hofiert.

An der Wand hängt ein Bild von meinem Opa, er war im Krieg. Jeden Tag Terror. Das ließ ihn nie mehr los. Irgendwann zogen er und meine Oma in das 930-Einwohner-Dorf, wo es nicht mal mehr einen Bäcker gibt, dafür aber Fischerteiche und einen Steinbruch zum Angeln. Die Häuser schmiegen sich an einen Hügel, auf dem eine kleine Kirche steht. Ein Anschlag hier ist unwahrscheinlich. Aber die Kinder, Enkel und Urenkel sind ständig unterwegs. Meine Mutter zählt die Orte auf, die sie für besonders gefährdet hält: „Berlin, München, Frankfurt“.

Terror, fast täglich

Zeit für meinen Bruder, sich einzuklinken. „Das klingt zwar doof, aber uns kann ständig überall etwas passieren, Mama.“ Er habe nicht wirklich Angst. „Aber wir leben unsicherer als früher, habe ich das Gefühl.“ Er zieht seinen Pullover aus und dreht die Heizung runter. Aber es bringe ja nichts, sich verrückt zu machen. Meine Schwester und ich sehen das ähnlich. Unsere Generation klammert sich an solche Selbstschutzmechanismen. Wir erleben den Terror fast täglich, meist nur durch die Medien. „Die meisten Unfälle passieren doch eh im Haushalt“, werfe ich in den Raum, ohne Zahlen zu kennen oder zu nennen, einfach nur um Ruhe in das Gespräch zu bringen. Denn der Freund meiner Mutter hatte schon Probleme mit dem Herzen, und Oma ist ja auch nicht mehr die Jüngste. Ein bisschen sage ich das aber auch für mich.

Immer öfter fühle ich mich in der U-Bahn unsicher, denke über die Wahrscheinlichkeit nach, dass Orte, an denen ich bin, Anschlagsziele sein könnten. Die Angst begleitet mich durch den Alltag in der Großstadt. Sie begleitet meine Oma, die ihr Häuschen kaum noch verlässt, sie begleitet meinen Bruder nach Norddeutschland, meine Mutter und ihren Freund auf die Arbeit. Sie isst mit beim Osterbrunch. Machen wir uns zu sehr verrückt? Was können wir tun? Menschenmengen und zentrale Orte oder große Städte meiden? Will noch jemand ein Brötchen? Wie geht man am besten damit um? Sollte wir uns alle mal beruhigen? Wir reden lange.

„Wenn etwas passiert, dann in Berlin“, prophezeit der Freund meiner Mutter. Meine Oma sagt nichts mehr. Ich wohne in Berlin, meine Schwester vielleicht bald auch. Wir wechseln das Thema, jetzt geht es wieder um die Familie. Urenkel Nummer fünf ist unterwegs. Die Angst verzieht sich aufs Sofa. Da sitzt sie nun, hört zu und wartet auf ihren nächsten Einsatz.

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