Dokumentartheater zu den NSU-Morden: Das Vertrauen bleibt erschüttert

Den Angehörigen der Ermordeten zuhören: „Die NSU-Monologe“ im Heimathafen Neukölln beruhen auf Gesprächen mit den Familien.

Auf einer Zeichnung sieht man Menschen mit Fotos der Opfer in einem Protest- und Trauermarsch.

Mit dieser Zeichnung wirbt der Heimathafen für das Dokumentartheater Foto: Heimathafen Neukölln

Da hatte noch jemand Vertrauen zu Angela Merkel. „Merkel hat ein Versprechen abgegeben. Ich habe die Hoffnung, sie steht zu ihrem Versprechen“, sagt Adile Şimşek, Nebenklägerin im NSU-Prozess, im Heimathafen Neukölln – und bezieht sich dabei auf das Versprechen vollumfänglicher Aufklärung der NSU-Morde, das Merkel bei einem Empfang der Hinterbliebenen der Opfer gegeben hatte.

„Als Bundeskanzlerin verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck“ – so lautete die Originalaussage von Merkel seinerzeit. Auch diese Worte sind in den „NSU-Monologen“ im Berliner Theater Heimathafen wieder zu hören. Nicht aus dem Mund von Merkel, sondern aus dem der Schauspielerin Meri Koivisto.

Wie auch Adile Şimşeks Worte nicht von Şimşek selbst gesagt werden, sondern von Elisabeth Pleß. Aber Pleß verschmilzt im Laufe dieser gut zwei Stunden derart mit der Figur der Unternehmersfrau Şimşek, die ihren Mann und ihre Tochter durch die Morde verloren hat, dass für alle, die die Witwe des Blumenhändlers Enver Şimşek nicht persönlich kennen, Pleß Şimşek ist – etwa so, wie für manchen Kinogänger sich Mahatma Gandhi in der Version Richard Attenboroughs ins Hirn geprägt hat.

Aufblättern der Familiengeschichten

Nur dass sich Pleß und Şimşek gar nicht ähnlich sehen; aber die Schauspielerin zeichnet die Gemütsbewegungen ihres Vorbilds, die Trauer, den Zorn, die Verlassenheitsgefühle und auch die verklärten Erinnerungen so überzeugend nach, dass man sich an diesem Theaterabend eben doch der Frau des Mordopfers gegenüber wähnt.

Die „NSU-Monologe - Der Kampf der Hinterbliebenen um die Wahrheit“ werden im Heimathafen Neukölln in Berlin in deutscher und türkischer Sprache (jeweils mit Untertiteln in der anderen Sprache sowie auf englisch) gezeigt. Der Regisseur Michael Ruf gehört zur „Bühne für Menschenrechte“, die zuvor schon die „Asyl-Monologe“ inszeniert hat und an weitere Schauspieler weitergegeben hat. So soll auch das neue Stück dank eines Unterstützernetzwerks von mittlerweile 200 Schauspielern auch parallel in anderen Städten aufgeführt werden.

Im Heimathafen Neukölln: 5.11., 20 Uhr Premiere in türkischer Sprache, weitere Vorstellungen 15.-19.11., 6.-8.12.

Gleiches gilt für die Schauspielerin Selin Kavak, der man liebend gern die Geschichte als selbst erlebt abnimmt, die sie als Elif Kubaşık über den gemeinsamen Ausreißversuch mit ihrem Mehmet erzählt. Beide flüchteten aus dem heimatlichen Dorf. Ein paar Freunde halfen, warfen Bierflaschen aus dem Auto, um die Verfolger mit Scherben aufzuhalten.

Später erfuhren sie, dass zum gleichen Zeitpunkt in der gleichen Gegend ein anderes Liebespaar auch auf der Flucht war. ‚Gut gemacht‘, frohlockt man da – und hat doch nur deshalb Kenntnis von der Sache, weil Jahre später Mehmet Kubaşık in seinem Kiosk von den Rechtsradikalen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erschossen wurde. Nur deshalb sitzt man jetzt im Heimathafen und wird zum Voyeur von Familiengeschichten.

Rufmord an den Opfern

Natürlich handelt es sich auch um Voyeurismus. Michael Ruf, Regisseur der „NSU-Monologe“, der sich zuvor schon mit den „Asyl-Monologen“ und -„Dialogen“ einen Namen als sensibler Theaterdokumentarist gemacht hat, gibt auch zu, dass es ein längerer Prozess gewesen sei, die Familien der Opfer für das Projekt zu gewinnen.

Gut aber, dass sie es taten; neben Kubaşık und Şimşek beteiligte sich noch die Familie von Halit Yozgat, dem in Kassel erschossenen Betreiber eines Internetcafés, am Projekt und gab den Theatermachern lange Interviews. Denn man erfährt in den „NSU-Monologen“ – ein irreführender Titel, es monologisieren nicht postum Mundlos, Böhnhardt oder die München angeklagte Beate Zschäpe – nicht nur aus der Perspektive der Angehörigen der Ermordeten von den Taten. Man ist auch mit dem Rufmord nach dem Mord konfrontiert. Mit den Verdächtigungen, dass die Täter aus dem Familienumfeld kämen. Dass die Opferfamilien in kriminelle Milieus verwickelt seien.

Verlangen nach Entschuldigungen

Man wünscht sich da, dass sich einzelne Ermittler für die Vorverurteilungen entschuldigt hätten. Oder dass sich bei Journalistenkollegen Berufsehre und persönlicher Anstand zu einer Bitte um Verzeihung verdichtet hätten. Und egal, wie man politisch zu Angela Merkel steht, so wünschte man auch, dass eine Adile Şimşek von erfüllter Hoffnung in eine Exekutive sprechen könnte. Ihr Fazit hingegen lautet: „Also Merkel hat bis jetzt noch nichts aufgedeckt.“ Der „Hochdruck“ der „zuständigen Behörden in Bund und Ländern“ gilt wohl eher dem Zudecken.

Solange noch von einer „Zelle“ dreier durchgeknallter ideologisierter Krimineller die Rede ist, und nicht von einem teils von V-Männern durchsetzten Netzwerk, in dem einzelne auch finanziell profitierten – wie Danksagungen rechter Blätter an die Bank raubenden Geldspender des NSU belegen – solange ist das Vertrauen in diesen Staat erschüttert. Das wird an diesem Theaterabend ganz besonders deutlich.

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