Uraufführung an der Deutschen Oper: Mama, was heißt „geil“?

Das Auftragswerk „Edward II.“ an der Deutschen Oper Berlin ist nicht so schlimm wie ein Spiel von Hertha BSC, aber dennoch öde – bis auf einen Satz.

Schauspieler auf der Bühne

Szene aus Edward II. von Andrea Scartazzini in der Regie von Christof Loy Foto: Deutsche Oper Berlin, Monika Rittershaus

Mama, was heißt „geil“? Dieser Satz ist der einsame Höhepunkt eines Abends in der Deutschen Oper, der glücklicherweise nicht ganz so lang dauert wie ein Spiel der Fußballvereine Hertha BSC und Bayern München im Olympiastadion von Berlin. Nämlich nur 90 Minuten. Eigentlich geht das Stück mit dem Foltertod des Titelhelden sogar schon früher zu Ende, aber der 46 Jahre alte Komponist Andrea Lorenzo Scartazzini und sein Librettist Thomas Jonigk, 51 Jahre alt, Romancier, Theaterautor und Filmemacher, lassen nachspielen.

Der Regisseur Christoph Loy stellt den Chor in nunmehr heller Straßenkleidung im hellen Scheinwerferlicht an die Rampe. Die Solisten erzählen uns, was es mit diesem unglückseligen Edward II., König von England zwischen 1308 und 1327, auf sich hat. Sie tun gut daran, denn auf der zuvor rabenschwarzen Bühne von Annette Kurz war es nicht so recht zu erkennen. Jetzt wissen wir es endlich ganz genau. Der intrigante, blutrünstige und tyrannische König liebte die Männer.

Bei Jonigk liest sich das so: „Aufgrund seiner sexuellen Orientierung und der Diskriminierung und Kriminalisierung seiner Person ist er bis heute eine identitätsstiftende Figur der Homosexuellenbewegung sowie Inspiration für Historiker und Künstler“. Einhelliger Applaus des Premierenpublikums, das wahrscheinlich weiß, was inspirierte Historiker sind. Das alles rechtfertigende Stichwort „Identität“ ist gefallen, und es ist tatsächlich wahr, dass dieser schlimme König Anlass für Kunstwerke war.

Um 1590 herum schrieb Christopher Marlowe ein Theaterstück unter dem schönen Titel: „The troublesome raigne and lamentable death of Edward the second, King of England with the tragicall fall of proud Mortimer“. 1991 drehte Derek Jarman seinen Film „Edward II“. Tilda Swinton und Annie Lennox spielen mit in einem ironisch historisierenden Drama schöner schwuler Befreiungskrieger. Der Film ist guter Jarman und zu Recht ikonisch in der Schwulenszene, Marlowes Theaterstück hat wiederum Brecht inspiriert und wird vor allem in Großbritannien und den USA recht oft auch wieder im Original gespielt.

Ein bedeutungsvoller Traum mit Folgen

Nicht wahr ist jedoch, dass sich Scartazzini und Jonigk zu einem weiteren Kunstwerk haben inspirieren lassen. Sie haben einen Auftrag des Intendanten der Deutschen Oper erhalten und zehn Szenen verfasst, in denen es ausschließlich Opfer gibt. Zu sehen und zu hören ist deshalb, dass die beiden nichts können und nichts zu sagen haben, was andere nicht längst besser und klarer gesagt haben.

Wird wieder am 24. Februar und am 1., 4. und 9. März gegeben.

Es beginnt mit einem Traum Edwards. Sein Geliebter Gaveston ist eine Frau, wird vergewaltigt und dann mit ihm verheiratet. Es könnte das innere Drama dieses Mannes sein, aber dann tritt Isabella auf, seine historisch verbürgte Gattin und Mutter seiner historisch verbürgten vier Kinder und sagt: „Schon wieder einen schlechten Traum gehabt.“

Wenn es Theater wäre, wäre es ein guter, nämlich bedeutungsvoller Traum mit Folgen. Aber es ist keines. Männer in prall gefüllten Unterhosen toben und grapschen herum. Wann immer ein Konflikt dramatisch werden könnte, wird er sofort auf das reduziert, was wir schon kennen: Schwule werden misshandelt, verfolgt und verachtet, seit jeher und immer noch und überall.

Konfektionstöne aus dem Kaufhaus

Die Foltern des Mittelalters waren grausig. Wir sehen die Priester von damals, dazu kommen homophobe Demonstrationen von heute, Stammtische, die dunklen Ecken der Parks und Parkplätze, abgeschrieben aus der „Siegessäule“, dem sehr ehrenwerten Berliner Schwulenmagazin. Nur dass dort in der Regel besser – und ehrlicher – berichtet wird, als es Jonigk mit seinen stocksteifen Holpersätzen kann.

Scartazzini hat dazu viele Notenblätter vollgeschrieben. Das Abschlussexamen an der Hochschule hätte er damit wahrscheinlich bestanden, denn es kommt so ziemlich alles vor, was man heute dort lernen kann. Schöne, mal choralige, mal flirrende Instrumentencluster, viel Trommeln und Pauken, freie Rhythmen und Harmonien, Melodien mit Ecken und so weiter.

Es sind Konfektionstöne aus dem Kaufhaus für das obere Preissegment, gespielt von einem sehr guten Orchester und gesungen von sehr guten Sängern – und einer sehr guten Sängerin. Zu sagen haben sie so wenig wie Jonigks Text. Keine Sekunde lang ist etwas zu hören, das auch nur entfernt an die ja ebenfalls historisch verbürgte und zeitgenössische Ästhetik homoerotischer Erfahrungen denken lässt.

Damit bliebt die Frage mal wieder beim Intendanten der Deutschen Oper hängen. Also noch einmal, Dietmar Schwarz: Was heißt „geil“? Im Stück bekommen weder das Kind noch wir eine Antwort.

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