Umweltprobleme durch Kunstrasen: Vom Bolzplatz in den Ozean

In Skandinavien werden immer mehr Kunstrasenplätze gebaut. Das dazugehörige Granulat landet als Mikroplastik in den Meeren.

Totale eines Fußballstadions mit sattgrünem Kunstrasen

Immergrüner Spielspaß: Auch im südnorwegischen Grenland setzt man auf Kunstrasen Foto: imago/Digitalsport

STOCKHOLM taz | Das isländische „Hu! Hu! Hu!“-Fußballwunder vom Sommer ohne Kunstrasen? Das ist schwer vorstellbar. Kunstrasenplätze machen es unter den klimatischen Bedingungen nördlicher Breitengrade erst möglich, auch im Winter gut zu trainieren. Mehr als die Hälfte aller Spiele der höchsten schwedischen und norwegischen Ligen werden mittlerweile auf Kunstrasen ausgetragen.

Und weil es auf Dauer billiger und pflegeleichter ist, haben die Kommunen in diesen Ländern Rasenplätze für Vereine und Schulen zunehmend durch Kunstrasen ersetzt: Insgesamt hat sich deren Zahl binnen 15 Jahren mehr als verzehnfacht. Kunstrasen ist umso verbreiteter, je weiter man nach Norden kommt. Aber auch Städte wie Oslo und Stockholm haben jetzt mehr als doppelt so viel Kunstrasen- wie Naturgrasplätze.

Aber es gibt da ein klitzekleines Problem: „In Familien, in denen jemand Fußball spielt, kennt man das“, sagt die Umweltchemikerin Dorte Herzke: kleine Plastikteilchen in der Sportkleidung, wenn Sohn oder Tochter vom Training nach Hause kommen. Vom Einstreumaterial, das tonnenweise in jeden Kunstrasenplatz eingearbeitet wird, verschwinde stetig ein Teil „und landet über die Kanalisation am Schluss im Meer“.

Herzke forscht mit ihren KollegInnen vom Umweltforschungszentrum „Framsenteret“ im nordnorwegischen Tromsø über das Mikroplastikproblem in den Ozeanen. Und bei dem spielt nach ihrer Einschätzung der Kunstrasen nicht etwa eine zu vernachlässigende Rolle, sondern sei ein „wachsendes Verschmutzungsproblem“. Studien im Auftrag der schwedischen Naturschutzbehörde ergaben, dass die aus Kunstrasen freigesetzte Mikroplastikmenge nach dem Autoverkehr die zweitgrößte Quelle für Mikroplastik ist.

Gefahr für marines Leben

Als Mikroplastik werden Plastikpartikel mit einer Größe von einem Millionstel bis fünf Millimetern definiert. In der Natur sind solche Partikel nahezu unzerstörbar, sie gefährden große Teile des marinen Lebens. Bei Fischen, die so etwas zu sich nehmen, führt es laut Forschungsergebnissen von Bethanie Carney Almroth, Ökotoxikologin an der Universität Göteborg, zu Störungen der Darmfunktion und in der Folge zu Beeinträchtigungen des Immunsystems.

40 bis 100 Tonnen solchen Einstreumaterials können auf einem Fußballplatz liegen. Am gängigsten ist dabei ein Produkt in Form kleiner Kügelchen auf der Basis von Altreifen. Nach in Schweden und Norwegen vorgenommenen Untersuchungen werden jährlich fünf bis zehn Prozent herausgelöst und müssen durch neues Füllmaterial ersetzt werden. Bis zu 4.000 Tonnen, die im Meer landen, sind das jedes Jahr allein in Schweden. Der entsprechende Anteil des Autoverkehrs – vorwiegend durch Reifenabrieb – wird auf 13.500 Tonnen geschätzt. Zum Vergleich: Mikroplastik aus Hygiene- und Kosmetikartikeln steht hier für jährlich 66 Tonnen.

Insgesamt hat sich die Zahl der Kunstrasenplätze binnen 15 Jahren mehr als verzehnfacht.

Als ein Verein versuchsweise elf Spieler nach einem Match ihre 22 Fußballschuhe sorgfältig ausklopfen ließ, wurden 2.500 Granulatteilchen gezählt, die ansonsten im Auto, auf der Straße oder zu Hause gelandet wären. „In unserer Wohnung findet man diese Dinger überall“, bestätigt Jana Middelfart Hoff, Kommunalpolitikerin in Bergen: „Auf dem Boden, im Bad, in der Waschmaschine und sogar auf dem Küchentisch.“

Im Winter sei es besonders schlimm. Ihre Partei hat in der norwegischen Hafenstadt zusammen mit den Grünen eine Initiative gestartet, die ein größeres Bewusstsein fürs Mikroplastik-Problem schaffen soll: Neben Modifikationen an Aufbau und Design der Kunstrasen könne mehr Aufmerksamkeit bei Benutzung und Pflege dieses Untergrunds weiterhelfen.

Ständiges Fegen als Gegenmaßnahme

Ole Myhrvold vom norwegischen Fußballverband NFF sieht das auch so und betont: „Wir nehmen diese Frage sehr ernst.“ Man empfehle beispielsweise, die Kunstrasenplätze ständig zu fegen, das Granulat einzusammeln, sicher zu deponieren und nach Reinigung wiederzuverwenden. Regelmäßiges Ausbürsten des Rasens und speziell konstruierte Drainageanlagen verringerten ebenfalls die Gefahr einer unkontrollierten Ausbreitung von Mikroplastik.

Weil das derzeit hauptsächlich verwendete Gummigranulat auf Altreifenbasis auch Umweltgifte wie Flammenschutzmittel, UV-Stabilisatoren und Weichmacher enthält, die zusätzlich negative Auswirkungen auf die Nahrungskette im Meer haben können, lautet ein radikalerer Vorschlag, solches Material als Füllstoff ganz zu verbieten. Umso mehr, als auch der Verdacht besteht, dieses könne krebserregend sein. Laut Myhrvold „würde es der Verband begrüßen“, wenn Vereine zu anderem Einstreumaterial greifen würden.

Im westschwedischen Göteborg hat man Konsequenzen gezogen. Dort soll das bisherige Einstreumaterial umweltfreundlich durch solches auf Basis von Kork oder Kokosnussschalen ersetzt werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.