„Reporter ohne Grenzen“: Irritierender Aufstieg Deutschlands

Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2024 landet Norwegen zum achten Mal in Folge auf Platz 1. Deutschland wird besser – nicht nur aus eigener Kraft.

Eine Kamera mit Kabeln und Mikro liegt auf einer gepflasterten Straße

Berlin 2020: Die Ausrüstung eines Kamerateams nach einem Übergriff. Fünf der sieben Medienschaffenden wurden verletzt Foto: Christoph Soeder/dpa

BERLIN taz/epd/dpa | Die Situation der Pressefreiheit hat sich weltweit verschlechtert. Zu diesem Schluss kommt die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) in ihrem jährlichen Ranking. 36 Länder fallen laut der am Freitag veröffentlichten Rangliste der Pressefreheit in diesem Jahr in die schlechteste Kategorie – so viele wie seit zehn Jahren nicht. Deutschland verbesserte sich in dem Ranking von Platz 21 auf Platz 10. Aber nicht nur aus eigener Kraft.

Für die Rangliste vergleicht ROG rund 180 Länder und bewertet dabei den politischen Kontext für Medienschaffende, ihre Sicherheit, den rechtlichen Rahmen und das wirschaftliche und soziokulturelle Umfeld – seit 20 Jahren. Die Rangliste 2024 ergibt sich aus Daten von 2023.

Insbesondere verzeichnete „Reporter ohne Grenzen“ mehr Übergriffe im Umfeld von Wahlen. Dabei komme es zu Beschimpfungen und Gewalt gegen Medienschaffende sowie zu Festnahmen. Die Geschäftsführerin der Organisation, Anja Osterhaus, sprach von einer „erschreckenden Entwicklung“. „Autokraten, Interessengruppen und Feindinnen der Demokratie wollen mit allen Mitteln unabhängige Berichterstattung verhindern.“ Und das ausgerechnet im Superwahljahr 2024; mehr als die Hälfte der Bevölkerung werde dieses Jahr an die Urnen gebeten, etwa in Indien, den USA sowie Thüringen, Sachsen und Brandenburg. ROG stellt fest: „Besonders vor und nach Abstimmungen sind Journalistinnen und Journalisten gefährdet.“

Neues Schlusslicht der Rangliste, die zum Internationalen Tag der Pressefreiheit (3. Mai) veröffentlicht wurde, ist Eritrea auf Platz 180 (Vorjahr: 174). Das Land sei eine „Informationswüste“, sämtliche existierenden Medien stünden unter direkter Kontrolle des Informationsministeriums. Die Diktatur von Präsident Isayas Afewerki unterbinde den freien Fluss von Nachrichten mit großer Härte. Manche Journalisten säßen schon seit über 20 Jahren ohne Anklage in Haft.

Den vorletzten Platz belegt Syrien (Vorjahr 175), wo sich die ohnehin katastrophale Lage weiter verschlechtert habe. ROG spricht von Entführungen durch Dschihadisten und von Assads Foltergefängnissen. Manche Medienschaffende würden teils seit Jahren als „verschwunden“ gelten.

Um 26 Plätze auf Rang 178 fiel Afghanistan. Die ROG zählt dort drei getötete Journalisten. Mindestens 25 Medienschaffende hätten zwischenzeitlich im Gefängnis gesessen. Die Organisation betont die Gefahr für Re­por­te­r*in­nen, von Sicherheitskräften inhaftiert zu werden. Erst Ende April wurden drei Radiojournalisten gefangengenommen, weil sie Zuhörerinnen in ihre Sendungen schalteten, ein Affront für die Taliban.

So hat sich Deutschland verbessert

Für Deutschland geht es 2024 steil nach oben auf der Rangliste. Dieses Jahr kommt das Land auf Platz 10 – im letzten war es noch auf Platz 21. Ein Grund für Euphorie ist das dennoch nicht. Laut ROG hat sich Deutschland „nur geringfügig verbessert“. Zudem habe sich Deutschland in Bereichen wie den rechtlichen Bedingungen, unter denen Jour­na­lis­t*in­nen arbeiten, nicht verbessert, sondern lediglich in der Kategorie Sicherheit.

Die Zahl gemeldeter physischer Übergriffe auf Medienschaffende ist 2023 stark zurückgegangen im Vergleich zum Vorjahr und liegt jetzt bei 41. Im Vorjahr waren es noch 103 gewesen. ROG führt dies darauf zurück, dass auch die Zahl rechter Demonstrationen gesunken ist. Dort hatten einige der Angriffe aus dem Vorjahresranking stattgefunden. Von den 41 Angriffen, die nun gezählt wurden, erfolgten 18 bei Kundgebungen von Ver­schwö­rungs­ideo­lo­g*in­nen oder extremen Rechten. Auch wenn die Zahl im Vergleich zum Vorjahr stark gesunken ist, liegt sie noch immer über der Zahl von Vor-Corona-Jahr 2019 (13 Angriffe gezählt).

ROG listet auch auf, welche Art von Angriffen es waren. 15 von ihnen erfolgten durch Schläge, 6 durch „brutales Zerren an Personen oder Ausrüstung“. Auch auf der Liste, mit einem einzigen Fall: „mit Fäkalien beschmiert“. Ein eindringlicher Fall, der sich nicht etwa in der rechten, sondern in der Ballett-Szene abgespielt hat, als Tanz-Choreograf Marco Goecke der FAZ-Kritikerin Wiebke Hüster Hundekot ins Gesicht schmierte.

Doch die Gesamtpunktzahl Deutschlands ist nur ein wenig gestiegen. Die extreme Verbesserung auf der Liste ist laut ROG auch darauf zurückzuführen, dass andere Länder sich verschlechtert hätten.

Insgesamt hätten pressefeindliche Tendenzen in Deutschland zugenommen, erklärt die Organisation. Besonders im Internet würden Journalisten immer wieder diffamiert. Seit Beginn des Krieges zwischen der Hamas und Israel seien zudem vermehrt Übergriffe auf Medienschaffende auf Pro-Palästina-Demonstrationen zu beobachten.

Gerade vor den Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen ist die Angst vor psychischer und physischer Gewalt gegen Jour­na­lis­t*in­nen bei einigen Organisationen hoch. So bietet etwa die Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) spezielle Sicherheitstrainings in diesen Bundesländern an. Dabei soll nicht nur die Sicherheit auf Demonstrationen thematisiert werden, sondern auch digitale Selbstverteidigung. Die dju richtet sich dabei explizit auch an freie Journalist*innen.

Und die anderen so?

Wie Deutschland hat auch Belgien sich im Vergleich stark verbessert und springt von Platz 31 auf Platz 16. Stark verloren hat dafür die Slowakei, die – ebenso wie Namibia und Australien – ganze 12 Plätze abgerutscht ist. In Argentinien sieht es noch schlechter aus, und auch die USA haben eingebüßt (Platz 55, vorher 45).

Inmitten des Krieges verbesserte sich die Ukraine um 18 Positionen und ist jetzt auf Platz 61 – mehr als 100 Positionen vor Angreifer Russland, das auf Platz 162 kommt. Und selbst das ist für Russland eine Verbesserung um zwei Positionen.

Zum achten Mal in Folge liegt Norwegen auf Platz 1. Das liegt unter anderem an der großen Unabhängigkeit der Medien von der Politik und am gesetzlichen Schutz der Informationsfreiheit. Ähnlich gut seien die Voraussetzungen für journalistische Berichterstattung in den Nachbarländern Dänemark (2) und Schweden (3).

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.