Polizeiübergriffe in Hamburg: Mit Rüstung ins Gefahrengebiet

Um Geflüchtete zu kontrollieren, belagerte die Polizei einen Hinterhof in der Hafenstraße. Als Anwohner helfen wollten, rückte eine Hundertschaft an.

Hatten Angst vor Wasser und Wurfgeschossen: PolizistInnen in der Hamburger Hafenstraße. Geflogen ist nichts Foto: joto

HAMBURG taz | In der Hafenstraße in Hamburg St. Pauli setzten PolizistInnen am Montag über neun Stunden lang rund 25 Geflüchtete in einem Hinterhof fest. Sie konnten nicht gehen, weil die Polizei von 14 Uhr bis spät in die Nacht vor dem Gartentor stand. Nur unter Angabe ihrer Personalien hätten die Afrikaner den Hof verlassen können.

Gegen Abend versammelten sich NachbarInnen am Gartentor, um gegenüber der Polizei auf das Ende der Belagerung zu drängen. Die Refugees hatten sich seit Stunden nichts zu essen und trinken besorgen oder die Toilette aufsuchen können. Die NachbarInnen beschallten den Hof mit Musik und forderten ein Ende der seit Monaten andauernden „rassistischen Kontrollen“ in der Hafenstraße durch die „Task Force Drogen“.

Daraufhin verstärkte die Polizei ihre Präsenz und rückte mit einer Hundertschaft BereitschaftspolizistInnen an, die zum Teil mit schusssicheren Schilden ausgerüstet waren. Auch zwei Polizeihunde wurden eingesetzt und wachten knurrend vor dem Gartentor.

So standen sich PolizistInnen und NachbarInnen mehrere Stunden lang gegenüber. Gegen Mitternacht räumte die Polizei den Platz teilweise, indem sie eine Gruppe von AnwohnerInnen unter Einsatz der Schilde und Androhung von Gewalt in Richtung der Landungsbrücken abdrängte. Einigen NachbarInnen war es zuvor jedoch gelungen, die Geflüchteten aus dem Garten zu schleusen, ohne dass diese kontrolliert wurden.

Der Bereich um die Balduintreppe im Hamburger Stadtteil St. Pauli gilt seit April 2001 als „Gefahrengebiet Drogen“.

Das heißt: Die von der Polizei definierte Zielgruppe „potenzielle Drogendealer“ kann hier verdachtsunabhängig kontrolliert werden. Das gilt auch für potenzielle KonsumentInnen.

Im Mai 2015 stufte das Oberverwaltungsgericht Gefahrengebiete als verfassungswidrig ein. Seitdem arbeiten die Justiz- und die Innenbehörde an einer Gesetzesnovelle. Bis dahin wird das Gefahrengebiet weiter praktiziert.

Die Folge ist eine permanente Polizeipräsenz in dem Gebiet und tägliche Kontrollen schwarzer Menschen.

Als Grund für den Großeinsatz gab die Polizei die „Bekämpfung der öffentlich wahrnehmbaren Drogenkriminalität“ an. Man habe „lageabhängige Kontrollen“ durchführen wollen. Polizeisprecher Timo Zill erklärte: „Jemand zeigt ein Verhalten, dass vielleicht geeignet ist, den Verdacht zu erwecken, dass er vielleicht mit Betäubungsmitteln handelt.“ Die Rechtsgrundlage zur Überprüfung sei das Gefahrengebiet (siehe Kasten).

Die „vielleicht verdächtigten“ Personen hätten sich aber der Kontrolle entzogen, indem sie sich in den Garten begeben hätten, der ein Privatgrundstück ist und somit nicht ohne Weiteres von der Polizei betreten werden darf. Als gegen Abend die AnwohnerInnen hinzugekommen seien, sei die Stimmung immer polizeifeindlicher geworden. Daraufhin hätten die BeamtInnen die Versammlung aufgelöst.

Der Bürgerschaftsabgeordnete der Linkspartei, Martin Dolzer, hatte vor Ort an den Einsatzleiter appelliert, eine deeskalierende Lösung zu finden. Dolzer bezeichnete den martialischen Polizeiauftritt als Machtdemonstration – schließlich sei allen klar, dass auf diese Art keine Probleme gelöst würden.

Der Einsatzleiter deutete jedoch an, dass er eine Anweisung habe, den Einsatz durchzuziehen: „Herr Dolzer, ich kann nicht anders“, sagte er.

Für die Anwältin Alexandra Wichmann, die mehrere MandantInnen aus der Hafenstraße vertritt, ist der Einsatz unverhältnismäßig und rechtswidrig: „Die von der Polizei bemühte Rechtsgrundlage zur verdachtsunabhängigen Personalienfeststellung kann eine Freiheitsbeschränkung von solcher Dauer nicht rechtfertigen“, sagte sie und kündigte an, eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die verantwortlichen BeamtInnen einzulegen.

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