Petition der Woche: Perfekt inszenierte Vielfalt

Netflix setzt die Serie „Sense8“ nach zwei Staffeln ab, ohne sie ordentlich zu beenden. Die Fans organisieren dagegen international Protest.

Menschen stehen auf einer Straße mit beleuchteten Bäumen

Dreharbeiten zu Sense8 in Berlin-Wilmersdorf (Archivfoto) Foto: imago/Stefan Zeitz

Viel haben sie nicht gemeinsam: ein deutscher Safeknacker, ein schwuler Schauspieler aus Mexiko und eine koreanische Kampfkünstlerin. Was aber passiert, wenn diese unterschiedlichen Charaktere durch eine Art mentale Verbindung plötzlich in die Leben der anderen eintauchen können? Wenn diese Menschen, die sich wohl nie auf der Straße treffen würden, über Länder- und Ideologiegrenzen hinweg fühlen, was die anderen erleben? Mit diesen Fragen befasst sich seit 2015 die von der Kritik hochgelobte Netflix-Serie „Sense8“, die jetzt nach zwei Staffeln eingestellt wird.

Hinter „Sense8“ stehen die Wachowski-Geschwister, die Schöpfer der „Matrix“-Trilogie. Acht Personen, darunter auch ein Minibusfahrer aus Nairobi, eine Techno-DJ aus Island und eine Pharmaziestudentin aus Mumbai bekommen unvermittelt Visionen, in denen sie sehen und hören, was die anderen Protagonisten erleben.

Je stärker die Verbindung zwischen den sogenannten Sensates wird, desto mehr beginnen sie, sich füreinander ein- und sich über die Grenzen zwischen ihnen hinwegzusetzen. Die p­hilosophisch-metaphysische Frage dahinter: Was hat die Menschheit gemeinsam?

„Sense8“ ist einerseits die perfekt inszenierte Vielfalt. Schwule, Lesben, People of Color, alle sind vertreten. Gedreht wurde auf allen Kontinenten, in Berlin, Nairobi, San Francisco, Mumbai. Auch die Besetzung passt zum Konzept. So wird die transsexuelle Aktivistin Nomi von der Transfrau Jamie Clayton gespielt.

Der Konflikt: Netflix stellt die Serie „Sense8“ ein, nach nur zwei Staffeln und trotz Cliffhanger.

Das wollen die Initiatoren dieser Petition: Eine ausführliche Erklärung von Netflix, warum „­Sense8“ abgesetzt wurde.

Das wollen sie eigentlich: Eine dritte Staffel, um endlich zu erfahren, wie es weitergeht.

Die Petition: Der Aufruf ist zu finden auf der Webseite von change.org

Die Serie ist nicht nur wie am Reißbrett dafür konzipiert, Vielfalt zu repräsentieren, sondern soll auch ein globales Publikum ansprechen und in Lateinamerika ebenso Zuschauer finden wie in Europa oder Afrika. Tatsächlich hat die Serie eine weltweite Fangemeinde, besonders beliebt ist sie in der LGBT-Community, auch weil die queeren Charaktere keine Effekthascherei sind, sondern sich selbstverständlich in das Format einfügen.

Es ist vorbei

Dennoch wird die Serie eingestellt. Anfang Juni gab Netflix bekannt, „Sense8“ werde nicht fortgesetzt, obwohl die zweite Staffel mit einem Cliffhanger endet. Es sei eine mutige, wahrhaft globale Serie mit entsprechend internationaler und vielfältiger Besetzung gewesen, nun sei es aber vorbei.

Einfach so, ohne Begründung. Die Fans waren empört. Eine Argentinierin aus der Kleinstadt Rafaela startete die Petition „Sense8 Season 3 Renewal“, über 500.000 Menschen haben bisher unterschrieben.

Eine halbe Million Menschen, die sich für eine Fortsetzung starkmachen, das zeigt auch: Der Plan ist aufgegangen. Die global konzipierte Serie hat ihre globale Fangemeinde gefunden. Netflix reicht das aber nicht.

Von den rund 100 Millionen Netflix-Abonnenten haben dann eben doch nur 0,5 Prozent die Petition unterschrieben. Zuschauerzahlen veröffentlicht Netflix nicht, daher lässt sich nur spekulieren, wie viele Menschen die Serie gesehen haben und ob das für Netflix als Erfolg zählt.

Akzeptanz, Liebe und Verständnis

Aber die Fans der Serie lassen sich davon nicht beeindrucken und setzen sich gemeinsam für eine Fortsetzung ein – oder zumindest für eine Erklärung, warum es keine dritte Staffel geben soll. Denn, so die Initiatoren der Petition in ihrem Statement: „ ‚Sense8‘ ist nicht einfach nur eine Serie, die man zum Spaß guckt. ‚Sense8‘ ist eine Serie, die der Welt einen neuen Blick auf andere geben kann, nämlich mit Akzeptanz, Liebe und Verständnis.“

Am liebsten würde Alina Lanisch ihre Mutter niemals wiedersehen, zu oft wurde sie verletzt. Ihre Mutter ist manisch-depressiv. In der taz.am wochenende vom 24./25. Juni schreibt sie über die Hilflosigkeit einer Tochter, die nie eine Tochter sein konnte. Außerdem: Ein Ex-SED-Funktionär gibt sich als jordanischer Honorarkonsul aus und lebt viele Jahre in einem Schloss. Und: Neil Harbisson ist der erste anerkannte Cyborg der Welt. Im Gespräch erzählt der Brite, wie der Himmel klingt. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Netflix reagierte Mitte Juni mit einem kurzen Statement bei Facebook. Man habe die Petition gesehen und lange und hart darüber nachgedacht, wie man eine Verlängerung möglich machen könne. „Doch leider geht es nicht.“ Man wolle die Geschichte nicht unvollendet lassen, aber es ist schlicht zu teuer. „Wir haben viel gelernt daraus und wollen Ähnliches künftig vermeiden“, so Netflix.

Die Petition ist also gescheitert. Den Fans aber zeigt sie auch etwas Gutes. Genau wie die Protagonisten der Serie sind sie weltweit verstreut, aber trotzdem nicht allein. Wie in der Serie verbinden sich ihre Fähigkeiten, in kurzer Zeit wurde der Petitionstext in 16 Sprachen übersetzt. Wenigstens beim Binge-Watching funktioniert das mit der internationalen Solidarität.

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