Kolumne Pressschlag: Die Leute wollen – ja, was eigentlich?

AfD-Vize Alexander Gauland soll behauptet haben, „die Leute“ möchten nicht neben Fußballer Jérôme Boateng wohnen. Wer sollen die genau sein?

Fußball-Nationalspieler Jérôme Boateng präsentiert seine eigene Brillenkollektion

Der Dscherohm ist beliebt bei Alt und Jung, weswegen das alles doch sehr verwundert Foto: dpa

Ob Alexander Gauland ein Fußballfan ist, das ist nicht überliefert. Vom Habitus her sollte er wohl eher ein Band aus der Schiller’schen Werkausgabe zur Hand nehmen als die Fernbedienung, um sich ein Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft anzusehen. Trotzdem ist das Thema Fußball nun das große Ding, nicht nur beim AfD-Politiker aus Brandenburg. Die Europameisterschaft in Frankreich steht an. Und plötzlich rückt ein Spieler in den Mittelpunkt, der darüber ziemlich verdutzt sein dürfte.

Jérôme Boateng ist ein prima Profi mit untadeligen Manieren, einer der weltbesten Abwehrspieler. Boateng, der seine Millionen beim FC Bayern verdient, designt Brillen und gilt als freundlicher Zeitgenosse, der zwar ein bisschen tapsig wirkt und drollig spricht, aber keiner Fliege etwas zuleide tun kann. Der Dscherohm ist beliebt bei Alt und Jung, weswegen es doch sehr verwundert, warum Gauland nun in einem neuerlichen Anfall von Verständniswahn gesagt hat: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ Die Leute?

Ein Journalist der FAZ hat herausgefunden, dass die Nachbarn von Boateng im sehr schönen und sehr teuren Münchner Viertel Grünwald die Nähe zum Nationalspieler total okay finden. Sie halten ihn für nicht abgehoben und geradezu mustergültig integriert in das süddeutsche Gemeinwesen. Wiederholt werden Anwohner mit dem Satz zitiert: „Er ist ganz normal.“ Man fühlt sich offenbar wohl in der Nähe von Boateng, ja nicht mal laute Partys feiere der Typ, und die Getränke im Markt um die Ecke holt er manchmal selbst.

Gut, die Menschen in Grünwald sind reich, nicht wenige residieren in Villen. Hier wohnt, wer es geschafft hat und zu den 5 Prozent der Wohlhabenden gehört, die viel mehr haben als die anderen 95 Prozent in der Republik. Wenn Gauland von den „Leuten“ spricht, dann sind die Gutbetuchten offensichtlich nicht gemeint. Auch der Mittelstand hätte bestimmt nichts gegen Boateng in der Nachbarschaft, wäre das doch der Beweis, in einer tollen Gegend zu wohnen und noch dazu in der Nähe einer Berühmtheit.

Wer sind die Leute, denen Gauland, wie er behauptet, aus dem Herzen spricht? Sind es jene zwei Pegida-Freunde, die, wie nun alle Welt nach einem Sturm der Entrüstung weiß, in Baden-Württemberg sitzen und das Kindergesicht von Boateng auf einer Tafel Kinderschokolade nicht gut finden? Sind es „Leute“ in Dresden oder Wuppertal, in Mettmann oder Erfurt? Wer will nicht neben diesem Musterprofi leben?

Das fragt man sich, und weiß keine Antwort, weil die Pegida-Anhänger doch Freunde des Nationalen sind und somit auch der Nationalmannschaft sein müssten. Viele von ihnen hängen, sobald die EM läuft, bestimmt wieder die Deutschlandfahnen raus und schmücken ihren Nissan mit einem Seitenspiegelüberzieher in den deutschen Farben. Dass in dieser Nationalmannschaft ein Spieler mit dunkler Hautfarbe spielt oder einer mit türkischen Großeltern, sollte sie nicht stören. Oder etwa doch?

Gaulands Einlassung ist in erster Linie reaktionär. Sie verweist auf eine Diskussion, die längst erledigt schien. Es ist Jahre her, dass Herkunftsfragen einer fußballerischen „Internationalmannschaft“ diskutiert wurden. Spätestens mit dem Ende der Fußball-WM 2010 in Südafrika war das Thema durch. Eigentlich. Selbst das stumme „Mitsingen“ der Nationalhymne von Boateng und Co. war irgendwann kein Aufreger mehr. Es wurde akzeptiert: Jeder ist frei darin, das zu tun oder zu lassen.

Dass Alexander Gauland nun eine diskursive Leiche aus dem Keller holt und zur Sektion ansetzt, ist Zeichen einer recht plumpen Instrumentalisierung des Fußballs. Damit steht der AfD-Politiker allerdings nicht allein da.

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