Handicap-Reisen: „Ziele wie alle anderen auch“

Nils Wend, Geschäftsführer von Runa-Reisen, über die Besonderheiten des Unterwegsseins für Menschen mit Behinderung.

Zwei Leute mit einem Surfbrett am Strand

Ein Junge mit Down-Syndrom und eine Surferin am Strand Foto: imago/Westend61

taz: Herr Wend, welche Art von Reisen können Menschen mit Behinderung heute machen?

Nils Wend: Unser Spektrum bei Runa-Reisen ist breit. Das reicht von der rollstuhlgerechten Ferienwohnung an der Müritz bis zum Pflegehotel am Mittelmeer und einer Safari in Namibia im Rollstuhl, mit Spezialfahrzeugen und Betreuungspersonal, das sind natürlich sehr unterschiedliche Preiskategorien.

Worin besteht der größte Bedarf?

Barrierefreie Unterkünfte sind stark nachgefragt. „Barrierefreiheit“ ist aber international nicht einheitlich definiert. Es gibt zwar eine DIN-Norm in Deutschland für Barrierefreiheit. Wenn wir aber nur Anbieter akzeptierten, die diese strenge Norm erfüllen, hätten wir nur fünf bis zehn Unterkünfte im Programm. Daher reden wir von „rollstuhlgerecht“. Das bedeutet, dass sich Gäste im Rollstuhl frei bewegen können, nicht überall aber in einem breiten Elektrorollstuhl.

Das heißt, die Gäste sollten sich vor der Buchung präzise infor mieren über die technischen Details vor Ort?

Genau. Zur Orientierung haben wir Piktogramme in den Katalogen, die zeigen zum Beispiel, ob es nur einen oder zwei Haltegriffe gibt auf der Toilette, ob die Dusche mit einem Rollstuhl befahrbar ist. Wir informieren über die Türbreite, da weiß man dann, ob man sich mit einem breiten Elektrorollstuhl in der Unterkunft frei bewegen kann. Uns ist es immer lieb, wenn die Gäste vor der Buchung genau nachfragen. Dieser Kontakt vorab ist ganz wichtig.

Der Reiseverkehrskaufmann (40) studierte Tourismuswirtschaft und ist seit 2006 Geschäftsführer von Runa-Reisen in Steinhagen, Nordrhein-Westfalen.

Nehmen wir mal an, da gibt es den jüngeren Querschnittgelähmten, Motorradunfall, kann der alleine mit ihnen reisen?

Prinzipiell schon. Wir würden dann vielleicht ein Appartement auf Lanzarote oder ein Hotel in Griechenland vorschlagen, rollstuhlgerecht, wo auch Ausflüge angeboten werden. Wir kümmern uns dann um den Flug, melden alles vorher an und buchen bestimmte Plätze im Flugzeug. Bei der Ankunft wird der Gast abgeholt und direkt zum Hotel gebracht. Vor Ort können dann an vielen Urlaubsorten Leistungen dazu gebucht werden, also etwa Schiebehilfen bei Ausflügen. Wir haben auch rollstuhlgerechte Gruppenreisen im Programm.

Was ist mit Strandurlaub?

Wir haben einige Unterkünfte, die Bademöglichkeiten anbieten. Die haben zum Beispiel Sitzlifter, die in den Swimmingpool abgesenkt werden können oder auch Strandrollstühle.

Barrierefrei: Wer gehandicapt, aber einigermaßen selbständig ist, kann sich auf Infoportalen nach Reiseorten und Touren erkundigen, die barrierefrei sind, zum Beispiel auf www.travelable.info.de. Ansonsten gibt es viele Veranstalter, die barrierefreie Hotels im Programm haben oder auch Reisen mit Unterstützung vor Ort. Die Angebote richten sich nach dem Hilfebedarf und der Art und Weise, wie Assistenz gewährt wird.

Blindenführer: Der Veranstalter „tour de sens“ (www.tourdesens.de) bietet sehbehindertengerechte Wander- und Kulturreisen an, dabei bekommen Blinde bei den Ausflügen eine 1:1-Begleitung. Die Begleitung leisten sehende Mitreisende, die dafür einen reduzierten Preis bezahlen. Die viertägige Thüringen-Wanderreise kostet zum Beispiel für einen Blinden 612 Euro, für einen sehenden Begleiter aber nur 294 Euro.

Begleiter: Andere Unternehmen wie „anderssehn“ (www.anders-sehn.de) bieten gleichfalls Reisen für Blinde und Sehbehinderte an, dabei zahlen Blinde dann einen Aufpreis für die Aufwandsentschädigung für ehrenamtliche Begleiter. Der Anbieter „Vision Outdoors“ (www.visionoutdoor.de) veranstaltet internationale Natursportreisen für Sehbehinderte. Die Kette „Aura-Hotels“ ist auf Sehbehinderte eingestellt und offeriert entsprechende Programme.

Rolli-Veranstalter: Rollstuhlfahrer können unter vielen Anbietern wählen, darunter Runa-Reisen in Steinhagen (siehe Interview) oder mare nostrum in Berlin. Sternreisen in Hamburg veranstaltet Gruppenreisen für Menschen mit geistigen Behinderungen. Die Preise richten sich nach den Leistungen, etwa auch pflegerische Unterstützung.

Preise: So kostet eine zehn­tägige Kooperationsreise von­Runa-Reisen mit „Urlaub& Pflege“ an die Costa Blanca in ein Viersterne-Pflegehotel im November mit Flug, rollstuhlgerechtem Transfer, 10 Übernachtungen, Vollpension, täglichen Ausflügen und Gruppenbegleitung durch Pflegekräfte für einen Menschen mit Behinderungen im Doppelzimmer 2.795 Euro. Etwaige persönliche Pflegehilfen auf dem Zimmer müssen bei Bedarf hinzugebucht werden. Mare Nostrum bietet eine 14-tägige Gruppenreise inklusive Flug und Transfer nach Teneriffa an – im Doppelzimmer mit Halbpension kostet sie 1.780 Euro, Ausflüge müssen hinzugebucht werden und auch Leistungen wie zum Beispiel Schiebehilfen und Pflege. (bd)

Welche Reiseziele sind denn bei Ihren Gästen besonders beliebt?

Das ist ähnlich wie bei Gästen ohne Behinderung: beliebt sind Reisen innerhalb Deutschlands. Dann kommen Ziele wie Spanien, Italien, die Mittelmeer-Anrainer-Länder. Die Türkei war auch immer sehr populär, das hat etwas gelitten, auch die Nachfrage nach Reisen in die arabischen Länder wie Tunesien hat nachgelassen. Wir haben viele Städtereisen im Programm, auch die verkaufen wir nicht mehr so gut wie sonst. Ich glaube, bei diesen Rückgängen gibt es eine psychologische Komponente, das ist mit Sicherheit den Anschlägen geschuldet. Denn unsere Gäste im Rollstuhl haben natürlich Angst, dass sie nicht so schnell weggekommen, wenn irgendwo was passiert. Schiffsreisen wiederum sind ein Wachstumsbereich. Die Landausflüge sind gut organisiert. In Dubrovnik legt das Schiff direkt an der Altstadt an, da kann man direkt mit dem Rollstuhl Sachen erleben, ohne einen größeren Ausflug machen zu müssen.

Machen Leute im Rollstuhl auch öfter Fernreisen?

USA ist sehr beliebt im Fernreisebereich, das sind allerdings die fitteren Rollstuhlfahrer. Wir haben auch Kenia im Programm, da arbeiten wir mit einer Agentur zusammen, die ist in der Lage, Personal vor Ort bereitzustellen. Da gibt es auch examinierte Krankenschwestern, aber die sind englischsprachig. In solchen Ländern ist es mit den Hilfsmitteln schwieriger, Pflegebett, Personenlifter, Sauerstoff, das ist dort nicht so optimal geregelt. Wobei wir das in der Karibik hinkriegen. Das sind ehemalige niederländische Kolonien, die sind gut organisiert. Das sind aber Nischen in der Nische, gewissermaßen. Für viele Menschen mit Behinderung kommen Fernreisen nicht in Frage, weil sie den langen Flug scheuen. Wenn man zehn Stunden im Flugzeug sitzt, muss man zur Toilette, das ist dann nicht immer einfach im engen Flieger.

All das klingt aufwendig. Sind Urlaubsreisen für Menschen mit Behinderung erheblich teurer?

Nicht unbedingt. Wir haben Urlaubshotels, die haben vier oder fünf rollstuhlgerechte Zimmer, das ist nicht teurer, als wenn man einen Fußgänger beherbergt. Es kommt immer auf den Bedarf an, ob man nur eine rollstuhlgerechte Unterkunft braucht, ob man als Rollstuhlfahrer eine Schiebehilfe benötigt oder eben pflegerische Unterstützung am Morgen und Abend, beim Aufstehen und Zubettgehen. Es gibt natürlich die Königsdisziplin, so nennen wir es, wenn jemand von zu Hause aus schon einen Pflegedienst bucht, der mitreist. Da muss dann alles bezahlt werden, die Pflege und die Reise, da kommen einiges an Kosten zusammen.

Gibt es da Unterstützung etwa durch die Pflegekasse?

Menschen mit Behinderungen fordern immer wieder: „Nichts über uns ohne uns!“ Jedoch sind sie in den Redaktionsräumen des Landes kaum vertreten. Zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember 2016 präsentiert sich die taz am Vortag als Ergebnis einer „freundlichen Übernahme“.

Darin erzählen Autor_innen von sich. Davon, dass sie nicht „an den Rollstuhl gefesselt sind“ oder „an ihrem schweren Schicksal leiden“. Davon, wie es ihnen im Alltag und im Beruf ergeht. Koordiniert wird die Übernahme von Leidmedien.de. taz.mit behinderung – am Kiosk, eKiosk und natürlich online auf taz.de.

Gäste, die eine Pflegestufe haben, kriegen ja Pflegegeld vom Staat, das kann man im Urlaub einsetzen. Wir weisen auf den Rechnungen zudem Hilfsmittel wie Duschrollstühle getrennt aus, häufig können die Gäste die Hilfsmittel bei den Krankenkassen einreichen. Wir arbeiten an manchen Urlaubsorten auch mit deutschen Diensten zusammen, die eine Zulassung und vor Ort eine Dependance haben. Diese Leistungen kann man unter Umständen mit der Krankenkasse abrechnen. Wir raten aber, sich vorher bei den Kassen über diese Möglichkeiten zu informieren.

Die Preisfrage ist ja essentiell für Behinderte, die oft wenig Geld haben.

Es gibt eine ältere Generation, der geht es finanziell oft gut, die können sich auch eine teurere Reise leisten. Ein Standardfall bei uns ist das Ehepaar, viel gereist, der Ehemann, 80 Jahre alt, hat einen Schlaganfall erlitten, will aber dennoch weiter reisen. Die buchen zum Beispiel Teneriffa, ein rollstuhlgerechtes Hotel. Die Ehefrau will entlastet werden und so buchen sie dann noch eine ambulante Pflege dazu, die dem Gast etwa beim Duschen und Anziehen hilft.

Aber wir haben auch Gäste, die können solche Reisen nicht aus dem Ärmel schütteln. Diese Gäste reisen dann eben nur alle zwei Jahre mit uns, freuen sich dann sehr auf den Urlaub und nehmen vielleicht eine rollstuhlgerechte Ferienwohnung an der Nordsee, vielleicht mit mehreren Leuten, vielleicht auch nur eine Woche. Dann ist das bezahlbar.

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