Frank Castorfs langer Abschied: Tragödie will er nich

Frank Castorf erzählt am Ende seiner vorletzten Spielzeit an der Volksbühne in Berlin von Molière. Dem ging es noch viel schlechter als ihm.

Vier Schauspieler auf einem barocken Bühnenwagen.

Viel los auf der Bühne in „Die Kabale der Scheinheiligen. Das Leben des Herrn de Molière“ Foto: Thomas Aurin

Die Bühnenarbeiter haben zu tun. Zwei Prunkzelte mit Bett und Salon, eine kleine barocke Bühne auf einem Karren, ein Geländer, eine Leinwand, das alles will regelmäßig verschoben werden in dem Bühnenbild, das Aleksandar Denić für Castorfs jüngsten Streich an der Berliner Volksbühne gebaut hat. Warum eigentlich, sieht man die Schauspieler, die in „Die Kabale der Scheinheiligen. Das Leben des Herrn de Molière“ oft hinter der Zeltwand agieren, doch eh meistens in Großaufnahme.

Großartig, wie sich Georg Friedrich mit Allonge-Perücke auf den Kissen aalt, ein nachlässiger König von Frankreich, Ludwig der Große, charmant, ein wenig zurückgeblieben womöglich oder diesen Anschein nutzend, probiert er die eigene Machtfülle aus. Soll man ihn jetzt erlauben oder verbieten, den Herrn Molière?

Das Beste käme nach der Pause, flüstern sich Insider in der Premiere zu, nein, in der Pause könne man ruhig gehen, hätten sie gehört, flüstern andere zurück. Vier Stunden dauere es heute, nein fünf, nein sechs. Molière (Alexander Scheer) muss in sechs Tagen ein Stück schreiben, der König schützt ihn, Molières „Tartuffe“ wird verboten, der Kardinal (Lars Rudolph) war beim König. Der Kardinal und der Sonnenkönig spielen Fangen, wie aufgezogene Spielzeugfiguren trippeln sie, endlich über die ganze Bühne.

Die Rache des Klassizismus

Jeanne Balibar und Jean-Damien Barbin, zwei von Castorfs Truppe, geben zwei von Molières Truppe, deklamieren in Französisch Racine, die „Phädra“: Mit steifem Klassizismus rächt sich das Theater für Molières Verdrängung. Dann aber bekommt Jeanne Balibar als Molières Geliebte Madeleine Béjart einen hysterischen Anfall nach dem anderen. Weil er erstens sie als Muse und Geliebte gegen ein jüngeres Modell, nämlich ihre gemeinsame illegitime Tochter, eintauschen möchte – Phädras inzestuöse Wünsche bleiben also nicht allein – und zweitens jetzt gleich Premiere ist, ohne dass sie ihren Text und ihre Rolle kennt.

Der russische Schriftsteller Michail Bulgakow hat die beiden hier verbratenen Stücken „Die Kabale der Scheinheiligen“ und das „Leben des Herrn de Molière“ geschrieben; dass er eine Zeitlang von Stalin begünstigt wurde, bevor Zensur und Geheimpolizei ihn fertigmachten, spielt man auch, als Exposition sozusagen.

Frank Castorf spiegelt sich an diesem mit viel Wohlwollen aufgenommenen Abend in Molière, in Bulgakow, in Fass­binder, in Racine eher nicht

Dann wird aus Molière, dem Theaterregisseur, Jeff, der Filmregisseur aus Rainer Werner Fassbinders Film „Warnung vor einer heiligen Nutte“, und wieder weiß keiner, was er spielen soll, man zerfleischt sich vor Eifersucht und trinkt Cuba Libre. (Vermutlich läuft deshalb in einer Umbaupause „Soy Cuba“, ein russisch-kubanischer Film von 1964. Historisch wertvoll, aber was ist jetzt der Kontext?)

Viele Spiegel

Der Regisseur Jeff weiß nicht weiter und tyrannisiert seine Truppe. Warum bleibt ihr denn, fragt einer, er gibt einem so viel Freiraum, seufzt die eben noch schmerzgekrümmte verschmähte Geliebte. „Der König kommt. Ich blicke nicht mehr durch, ich brauche eine Denkpause“, sagt jetzt wieder Molière, aber sein Aufnahmeleiter ist gegen Pause, pleite ist man eh.

Frank Castorf spiegelt sich an diesem mit viel Wohlwollen aufgenommenen Abend in Molière, in Bulgakow, in Fassbinder, in Racine eher nicht. Das Genie und seine Verbote, das ist eine groß ausgerollte Folie, um dann doch in gut gelaunt wirkenden Witzen den eigenen Abschied von diesem Haus vorzubereiten. Erstaunlich.

Oder vielleicht auch nicht erstaunlich, schließlich ist er weder pleite, noch wird er verboten oder in Verbannung geschickt; eigentlich, vielleicht ist das der sich erst am Abend der Premiere offenbarende Sinn, geht es ihm sogar ziemlich gut, mit diesen tollen Schauspielern. Die möglicherweise – „immer spielen, spielen, wir müssen ein Ende finden“, sagt Sophie Rois als eine von Molières erschöpfter Truppe, und wer im Publikum nicht gerade weggedämmert ist, so kurz nach Mitternacht, freut sich schon wieder – nun ja, nicht mehr ganz so überrascht von seinen Methoden sind.

Die Banane, berüchtigt

Der Stücke-Zertrümmerer kann keine Tragödie, erzählen die Schauspieler über ihn, deshalb soll auch das Ende seiner Intendantenzeit (in einem Jahr) dem Slapstick gleichen, dem berühmten Ausgleiten auf einer Bananenschale. Nur dass das schneller geht als fünf Stunden.

Und jetzt? Jetzt habe ich den Schluss der Inszenierung vergessen. Da wurde viel gestorben, erst Molière als der „Eingebildete Kranke“, dann Molière als Molière, dann auch seine Frau, oder Exfrau, oder war das doch eher Phädra? Dann war auch mal von der ermordeten Kunst die Rede, erst unter Stalin, dann auch hier in Berlin. Da fehlt was, da fehlt was ganz eindeutig. Aber macht nichts, am Ende viel Applaus.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.