Essay Steueroasen: Der Krieg der Reichen

Die simple, kriminelle Steuerflucht ist ein Auslaufmodell. Legale „Steuergestaltung“ richtet aber noch mehr Schaden an.

Die Hochhaussilhouette von Panama City vom Meer aus gesehen

Symbol der Entrüstung: Panama-Stadt Foto: reuters

Wer will schon in Panama wohnen? Der Zwergstaat hat zwar einen Kanal, Regenwälder und Wärme zu bieten, aber sonderlich attraktiv scheint das Land nicht zu sein. Wie das Online-Portal Auswandern Info meldet, siedelten im Jahr 2014 genau 89 Deutsche nach Panama über – während ebenfalls 89 Deutsche von dort zurückkehrten. Selbst der zentrale Vorteil Panamas, bei Auswandern Info schnörkellos als „Steueroase und Bankgeheimnis“ bezeichnet, scheint nicht viele Deutsche anzulocken.

Dies ist verständlich: Die eigentlichen Steueroasen sind nicht tropische Zwergstaaten wie Panama oder die Jungferninseln. Die Orchestrierung der Steuerflucht findet in den großen Finanzzentren New York, London, Zürich und Luxemburg statt. Steuerhinterzieher können gemütlich zuhause bleiben, wenn sie ihr Geld verstecken wollen.

Es klingt zwar eindrucksvoll, was die Panama Papers jetzt offenbart haben: Bei der panamaischen Kanzlei Mossack Fonseca waren 214.488 Briefkastenfirmen registriert, die auch diverse Spitzenpolitiker involvieren. Der isländische Premier Gunnlaugsson musste bereits zurücktreten.

Doch die panamaischen Briefkastenfirmen existieren nur, weil amerikanische und europäische Banken sie bestellt haben. Die westlichen Institute überweisen Geld nach Panama, und nehmen es zurück, nachdem es anonymisiert wurde. Man stelle sich einmal vor, Panama wäre auf sich allein gestellt und die Steuersünder müssten mit einem Koffer Bargeld nach Panama City fliegen. Unangenehm. Außerdem könnten sie ihr Bargeld dort nirgends anlegen, mangels Firmen, in die man in großem Maßstab investieren könnte. Steuerhinterzieher wollen aber nicht wie Dagobert Duck in Goldmünzen baden. Ihr Geld soll „arbeiten“, es soll Renditen erwirtschaften, Gewinne abwerfen. Also muss es zurück nach Europa und in die USA fließen.

Die reale Wirtschaftsmacht liegt bei den europäischen Regierungen und den USA. Sie könnten einseitig beschließen, alle Steueroasen zu boykottieren. Doch stattdessen wird langwierig an OECD-Transparenzstandards laboriert, denen möglichst alle Länder beitreten sollen.

Westliche Banken profitieren

Dieser abstruse Umweg soll verschleiern, dass die wahren Profiteure der Steuerflucht amerikanische und europäische Banken sind. Heftig wird an der Legende der „Globalisierung“ gestrickt und so getan, als müssten sämtliche 193 Staaten der Welt zustimmen, bevor sich die Steueroasen austrocknen lassen. Das ist Humbug. Die Steueroasen sind kein internationales Problem, sondern dahinter verbirgt sich ein ökonomischer Krieg zwischen einzelnen europäischen Staaten und den USA. Es ist ein Krieg, bei dem fast alle Bürger verlieren – und nur wenige Reiche profitieren.

Dieser Krieg hat diverse Facetten: Einige europäische Länder legen sich exterritoriale Steueroasen zu – dazu gehört vorneweg Großbritannien, das seine Kronkolonien und die Kanalinseln systematisch zu Steuerparadiesen ausgestaltet hat. Andere Länder wie die USA oder die Schweiz lassen Steueroasen im eigenen Territorium zu, ob das der Kanton Zug oder der US-Staat Delaware ist. Luxemburg ist eine einzige große Steueroase, aber auch Irland lockt mit niedrigen Steuersätzen gezielt Unternehmen an. Andere EU-Länder setzen auf Stiftungen (Österreich) oder „Lizenzboxen“ (Niederlande), um fremdes Geld hereinzuholen.

Um populäre Irrtümer auszuräumen: Bei diesem Wirtschaftskrieg geht es nicht darum, dass sich die westlichen Länder gegenseitig Steuereinnahmen klauen, denn durch die diversen Steuersparmodelle fallen kaum Steuern an. Auch werden Länder nicht „reicher“, weil Fluchtgeld ins Land strömt.

Das eigentliche Ziel ist, einen großen Finanzsektor aufzubauen. Wo viel Geld ist, werden viele Banken benötigt – und Banken sind attraktive Arbeitgeber. Diese Logik zeigt sich klar in Luxemburg: Einst lebte das kleine Land von der Stahlindustrie. Nach deren Niedergang in den 1970er Jahren drohte Armut, denn sonst produzierte Luxemburg nur noch ein bisschen Wein. Also erfand man aggressive Steuersparmodelle. Inzwischen tragen die „Finanzdienstleistungen“ 40 Prozent zur Wirtschaftsleistung bei.

Auch in Großbritannien dienen die exterritorialen Steueroasen nur dazu, den Finanzplatz London aufzuplustern. Die einheimische Wirtschaftsleistung ist zu bescheiden, als dass man diese aufgeblähten Banken benötigen würde. Doch trotz der Finanzjobs haben die normalen Engländer nichts vom steten Geldstrom. Im Gegenteil: Für sie wird es unerschwinglich, in London zu leben. Häuser werden immer teurer, weil sie als Spekulationsobjekt dienen. Das zuströmende Geld bleibt ja nicht in den britischen Banken hängen, sondern sucht nach Rendite – und da fällt der Immobilienmarkt sofort ins Auge.

Es ist ein Teufelskreis: Weil so viel Geld nach Großbritannien fließt, sind Anlagen in Pfund extrem „liquide“. Wer britische Aktien oder Immobilien hat, kann sie bei Bedarf sofort veräußern. Also sind Häuser, gerade in London, extrem begehrt.

7,6 Billionen Dollar Schwarzgeld

Auch in der Schweiz steigen die Hauspreise rasant, und wieder ist es die gleiche Wirkungskette: Weil das Land eine Steueroase ist, hat es einen überdimensionierten Finanzsektor, weswegen der Franken als „sicherer Hafen“ gilt, so dass viel Geld hereinströmt, das dann in Franken angelegt werden soll. Also explodiert der Immobiliensektor.

Ganz klar sind es nicht nur Fluchtmilliarden, die in die Schweiz oder nach England flocken. Das meiste Geld ist versteuert und sucht nur einen Finanzplatz, an dem sich gut und sicher spekulieren lässt. Aber umgekehrt ist eben auch wahr: Weder Großbritannien noch die Schweiz wären so bedeutende Finanzplätze, wenn sie nicht zugleich Steueroasen wären.

Es ist logischerweise unbekannt, wie viel geheimes Geld in Steueroasen gebunkert wird. Die beste Schätzung stammt vom französischen Ökonomen Gabriel Zucman, der aktuell auf 7,6 Billionen Dollar Schwarzgeld kommt. Was bedeutet, dass den Heimatländern der Steuerflüchtlinge etwa 190 Milliarden Dollar jährlich an Steuereinnahmen entgehen.

Allerdings ist abzusehen, dass die illegale Steuerflucht nachlassen wird. Denn immer neue CDs sind unterwegs, die die Straftaten der Steuersünder verzeichnen. Die Panama Papers sind ja nur das letzte Beispiel, dass der Computer einer Bank oder eines Finanzdienstleisters geknackt wurde. Wie ironisch: Die weltweite Steuerflucht wäre ohne Computer nicht denkbar, ist aber genau deswegen so gefährlich. Jeder Klick hinterlässt eine Datenspur, und irgendein Bankangestellter mit Geldbedarf oder Rachegelüsten findet sich immer, der die Konteninformationen an den Fiskus oder Zeitungen weiterreicht.

Schädliche Privilegien

Die simple, kriminelle Steuerflucht ist ein Auslaufmodell, doch gibt es längst Ersatz: die legale „Steuergestaltung“. Berüchtigt sind Fälle wie Apple oder Amazon, die ihre Gewinne von einem Land ins nächste schieben, bis sie fast keine Steuern mehr zahlen. Dieser Unsinn heißt offiziell „Steuerwettbewerb“. Zucman hat den Schaden kürzlich geschätzt: Dem deutschen Staat entgehen durch diese legale Steuergestaltung jährlich 20 Milliarden Euro, bei der kriminellen Steuerflucht sind es „nur“ 10 Milliarden.

Wie die legale Steuerflucht funktioniert, war auch bei den Panama Papers wunderbar zu erleben: Unter anderem geriet der Formel-1-Rennfahrer Nico Rosberg in Verdacht, Briefkastenfirmen zu unterhalten. Dies wurde jedoch prompt dementiert: Sein Arbeitgeber Mercedes ließ wissen, Rosbergs Gehalt werde „direkt nach Monaco bezahlt“. Dass Rosberg in diesem Ministaat residiert, ist kein Zufall. Das Fürstentum ist für seine freundliche Steuergestaltung bekannt – jedenfalls für Promis.

Diese Privilegien für Reiche und für Unternehmen sind ungerecht und untergraben die Demokratie. Normalen Staatsbürgern ist nicht zu vermitteln, warum sie Steuern zahlen sollen, während sich das oberste Prozent entziehen kann.

Noch schlimmer ist es für arme Staaten: Wie der amerikanische Think Tank Global Financial Integrity ausgerechnet hat, fließen inzwischen jährlich mehr als eine Billion Dollar aus den Entwicklungs- und Schwellenländern ab. Allein zwischen 2004 und 2013 wurden 7,8 Billionen Dollar ins Ausland geschafft. Wenn man annimmt, dass dieses Vermögen eine jährliche Rendite von zehn Prozent erwirtschaftet, die man mit etwa 40 Prozent besteuern könnte, dann heißt dies: Den Entwicklungs- und Schwellenländer entgehen jährlich 312 Milliarden Dollar an Steuern. Damit ließen sich sehr viele Krankenhäuser und Schulen bauen.

Und die Tragik dabei ist: Niemand hat etwas davon, dass eine kleine Elite in den Schwellen- und Entwicklungsländern ihre Mitbürger ausplündert. Davon profitieren nur aufgeblähte Finanzinstitute im Westen, die auch niemand braucht.

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