Bundestag beschließt Gesetz: Endlich Selbstbestimmung

Nach langen Debatten steht fest: Trans*, inter und nichtbinäre Personen können Namen und Geschlechtseintrag zukünftig leichter ändern.

Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer (Bündnis 90/Die Grünen) und Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen), Parlamentarischer Staatssekretär für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, umarmen sich am Rande der namentlichen Abstimmung zum Selbstbestimmungsgesetz während der 164. Sitzung des Bundestages.

Freude bei Bundestagsabgeordneter Tessa Ganserer und Parlamentarischem Staatssekretär Sven Lehman (beide Bündnis 90/Die Grünen) Foto: Britta Pedersen

BERLIN taz | Keine Nachweise mehr, keine Gutachten, keine ärztlichen Bescheinigungen: Der Bundestag hat am Freitagnachmittag mehrheitlich für das Selbstbestimmungsgesetz gestimmt, das die Änderung des Geschlechtseintrags für trans- und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Menschen erleichtert. Am 1. November soll das Gesetz in Kraft treten.

Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans

Endlich ist das Transsexuellengesetz abgeschafft! Damit enden 40 Jahre Grundrechtsverletzungen.

Ak­ti­vis­t*in­nen verfolgten die Abstimmung vor den Toren des Bundestags. „Endlich ist das Transsexuellengesetz abgeschafft!“, sagte Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* der taz. „Damit enden 40 Jahre Grundrechtsverletzungen. Sechs mal wurde festgestellt, dass das bisherige Gesetz verfassungswidrig ist. Endlich handelt die Regierung selbst, statt immer nur auf Entscheidungen aus Karlsruhe zu reagieren.“

Das Transsexuellengesetz galt seit 1981. Zur Änderung des Geschlechtseintrags stellte dieses an trans* Personen harte Bedingungen: Sie durften nicht verheiratet sein. Sie mussten dauerhaft unfähig zur Fortpflanzung sein – also sterilisiert. Und sie mussten sich operativ an das gewählte Geschlecht angleichen.

Vom Bundesverfassungsgericht wurde das Gesetz 2011 deshalb für größtenteils verfassungswidrig erklärt, da es gegen die Menschenwürde verstoße und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit widerspreche. Eine Alternative für das seitdem ausgesetzte Gesetz gab es jedoch nicht.

Psychologische Gutachten und Gerichtsverfahren fallen weg

Im April 2023 stellten Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) dann einen Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz vor, der in Zusammenarbeit mit Betroffenenverbänden entwickelt wurde. Es sieht vor, dass volljährige transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen mit einer einfachen Erklärung beim Standesamt ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag ändern können.

Die bisher notwendigen psychologischen Gutachten und Gerichtsverfahren fallen weg. Ab 14 Jahren können Jugendliche selbst eine Änderung des Eintrags mit Zustimmung ihrer Eltern vornehmen. Für Kinder jünger als 14 Jahre können Eltern eine Erklärung zur Änderung abgeben, nicht aber gegen den Willen des Kindes.

Der Verabschiedung im Bundestag waren harte Debatten in Politik und Gesellschaft vorausgegangen. Die zuständigen Bun­des­mi­nis­te­r:in­nen Buschmann und Paus hatten monatelang um Kompromisse gerungen. Aus der Opposition wurde insbesondere die Entkoppelung des rechtlichen vom biologischen Geschlecht kritisiert. Auch Fragen des Jugendschutzes stellten CDU und AfD immer wieder in den Mittelpunkt. Darüber hinaus warnte die Union vor möglichem Missbrauch, da die Personenstandsänderungen erstmal nicht an Sicherheitsbehörden übermittelt werden.

Gesetz geht vielen Ak­ti­vis­t:in­nen nicht weit genug

Die Aussprache vor der Abstimmung im Bundestag eröffnete am Freitagnachmittag schließlich Nyke Slawik von Bündnis 90/Grünen, eine der ersten bekannten transgeschlechtlichen Bundestagsabgeordneten. Slawik beschrieb ihre eigene Erfahrung als junge trans* Person: „Ich war es Leid, jedesmal wenn ich meinen Ausweis zeigen sollte, in der Bar oder bei der Fahrscheinkontrolle, mit der Frage konfrontiert zu werden: Ist das der Ausweis deines Bruders?“ Es sei höchste Zeit, so Slawik, dass endlich die Würde von trans*, inter und nichtbinären Menschen geachtet werde.

Trotz der neuen Erleichterungen geht das Gesetz vielen Ak­ti­vis­t:in­nen und Betroffenen nicht weit genug: Verschiedene Personengruppe, wie Menschen ohne dauerhaften Aufenthaltsstatus in Deutschland, würden ausgeschlossen, so Kalle Hümpfner. „Es enthält auch immer noch Unterstellungen gegenüber trans* Personen, etwa bei den Regelungen zum Hausrecht“, sagt Hümpfner weiter. Das Selbstbestimmungsgesetz lässt das private Hausrecht unberührt. Manche Frauenrechtlerinnen hatten Bedenken dagegen geäußert, Schutzorte wie Frauen-Saunen generell auch für trans* Personen öffnen zu müssen.

Weiter fordern Ak­ti­vis­t:in­nen eine niedrigere Altersgrenze sowie einen Entschädigungsfonds für Opfer des Transsexuellengesetz. Dieser ist zwar Teil des Koalitionsvertrags, aber nicht Teil des Selbstbestimmungsgesetzes.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.