Bundesparteitag der FDP: Ampelkritik als Modus Operandi

Beim Bundesparteitag in Berlin inszeniert sich die FDP als marktradikale Partei. Doch den Stress in der Regierung will sie lieber nicht verstärken.

Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP und Bundesminister der Finanzen, trinkt aus einer Tasse

„Wachstun made in Germany“: Wortspiele aus der Hölle bei der FDP Foto: Hannes P Albert/dpa

BERLIN taz | Alaa Khal sagt, die Rede des FDP-Chefs habe ihn zu Tränen gerührt. Vor vier Tagen habe er einen Anruf aus dem Büro Christian Linders erhalten und sei auf den Parteitag der Liberalen in Berlin eingeladen worden. Lindner erwähnt den jungen Unternehmer und Politikwissenschaftler, der 2015 aus dem kurdischen Qamischli nach Deutschland flüchtete, in seiner Rede. „In Deutschland haben wir Talente, die es schaffen wollen, auch ihnen machen wir es bisweilen schwer“, ruft der FDP-Vorsitzende am Samstag in den Saal mit den 660 Delegierten und meint damit Khal. Der 30-Jährige sagt im Anschluss an die Rede Linders: Der Finanzminister sei einer, der etwas anpacken will. FDP-Mitglied will der junge Mann aus Frankfurt an der Oder aber trotzdem nicht werden.

Der Andrang zum FDP-Parteitag ist groß. Vor wenigen Tagen stellten die Liberalen ein Papier für eine sogenannte Wirtschaftswende im Land vor, das aus Reihen der Opposition als ein Scheidungspapier in der Ampel-Koalition gelesen wurde – der Parteitag segnet die Vorschläge am Wochenende mit großer Mehrheit ab. Worte der Scheidung aus dem Ampel-Bündnis sind auf dem Parteitag dagegen kaum zu hören. Es scheint, als habe die FDP im Hadern mit der eigenen Regierungsarbeit endgültig ihren Modus Operandi gefunden.

Zu den beliebtesten Jobbeschreibungen des FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gehört die Floskel, er sei in seiner Funktion eben manchmal mehr General und manchmal mehr Sekretär. Seine Rede auf dem Parteitag ist ein Versuch, innerhalb von 20 Minuten beide Rollen rhetorisch einmal durchzuspielen. „Ich schätze unsere Koalitionspartner sehr“, sagt er gleich zwei Mal, bevor er das unvermeidliche „aber“ einleitet. „Wir haben ein anderes Staatsverständnis“, sagt Djir-Sarai. Grüne und SPD sähen den Staat, die FDP die Bürger im Mittelpunkt.

Mehr als ein Dutzend Mal hatte vor ihm auch Lindner die „Wirtschaftswende“ betont. Um die Konjunktur wieder in den Gang zu bekommen, wollen die Liberalen die Rente mit 63 abschaffen, Bürgergeldempfänger mehr sanktionieren, den Solidaritätszuschlag vollständig abschaffen und Überstunden steuerfrei stellen. Lindner wirkt bei seiner Rede wie ein Dozent für Volkswirtschaftslehre: In der Halle am Berliner Gleisdreieck-Park zeigt er Tabellen mit dramatisch nach unten weisender Konjunkturdaten.

Das Suppenhuhn der FDP

Die Charts zum Potenzialwachstum und der Attraktivität des deutschen Wirtschaftsstandorts garniert Lindner mit der Schmach, die ihm kürzlich bei einem Besuch des IWF in Washington begegnet sei. Dort sei ein Vortrag über Wachstumsschwäche mit einem Foto der Friedrichstraße illustriert worden. Der Finanzminister schildert diese Szene angegriffen, emotional, wie eine erlittene Demütigung. Die wurde noch größer, weil der französische Notenbank-Chef den FDP-Mann genüsslich auf das Foto aufmerksam machte. Lindner sagt, er habe sich geschworen, so etwas nie wieder erleben zu wollen.

Was die Parteitags-Inszenierung und peinlichkeitsfreie Werbung angeht, ist für die Liberalen noch Luft nach oben. Hinter dem Rednerpult prangt eine Art grauer Baby-Bundesadler, der einem Suppenhuhn ähnelt. Daneben in Großbuchstaben der Slogan „Wachstun made in Germany“. Grüße aus der Wortspielhölle.

Doch die FDP erhofft sich von ihrem Parteitag dringende Impulse, um bei den anstehenden Wahlen in diesem Jahr nicht unterzugehen. Die Partei steht in Umfragen dauerhaft zwischen 4 und 6 Prozent und ist seit dem Antritt in der Koalition mit SPD und Grünen zuverlässig aus Landesregierungen und Landtagen geflogen. Das Papier zur Wirtschaftswende möchte die Partei als mehr verstanden wissen, als eine Pressemitteilung, die ihre Anwesenheit in der Regierung dokumentiert. In den Sitzreihen betonen die Delegierten immer und immer wieder, dass das neue FDP-Programm nun seinen Weg in den Bundestag finden muss. Die Wirtschaftswende soll jetzt das neue, identitätsstiftende Schlagwort sein, mit dem die Sinnkrise und Wahlbaisse überwunden wird.

Lindner muss dafür einen nicht unkomplizierten Spagat vollführen: die FDP als marktradikale Wirtschaftspartei inszenieren, ohne die SPD mit Fundamentalkritik an Bürgergeld und Rente mit 63 noch weiter zu reizen, also Diplomatie und Provokation mischen. Denn das Ende der Ampel, das CDU und CSU aus eigenem Interesse beschwören, will die FDP-Spitze nicht. Derzeit nicht.

Es ist Generalsekretär Djir-Sarai, der nochmal dem Ruf der FDP als koalitionsinterner Opposition, alle Ehre macht. Deutschland sollte zu einem internationalen Vorbild für die Energiewende werden, sagt er. „Heute ist die deutsche Energiewende ein Vorbild dafür, wie man es nicht machen sollte“, sagt der Djir-Sarai gegen die eigene Regierungsarbeit gerichtet.

Ohne Wirtschaftswende und Wachstum, so Lindners trickreiche Begründung, werde man dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht standhalten. Die wachsenden Kosten für das Militär könne man nicht durch eine Aufhebung der Schuldenbremse finanzieren. Sondern nur, so das Mantra, durch Wachstum. Das erscheint in der Rede des FDP-Chefs als eine Art Wundermittel, das soziale Gerechtigkeit schaffe und eben die geopolitische Rolle Deutschlands sichere. Auch die Demokratie, gefährdet durch die AfD, könne effektiv nur durch Wirtschaftswachstum geschützt werden. „Die Wirtschaftswende ist das beste Demokratiefördergesetz, das man haben kann“, ruft Lindner in den Saal. Egal, was das Problem ist – die FDP hat die Lösung und sie lautet, die Kräfte des Marktes zu entfesseln.

Es gehe nun darum, die einzelnen Maßnahmen, die Lindner vorgestellt habe, in Gesetze zu bringen, sagt Nicole Westing, FDP-Abgeordnete für den Rhein-Sieg-Kreis in Nordrhein-Westfalen, der taz. Als Problem sieht sie, dass 850.000 Frauen in Deutschland nicht arbeiten gingen, weil sie keine passende Kinderbetreuung vorfänden. Das 12-Punkte-Papier sieht sie in ihrer Gesamtheit, trotz der dort proklamierten Einsparungen, als ein geeignetes Mittel, die Arbeitsbereitschaft in Deutschland zu erhöhen. Möglich sei zum Beispiel, das geplante Budget für die Kindergrundsicherung direkt in Schulen und Kinderbetreuung zu investieren.

Lindner versucht sich noch mit einem kleinen Lob der Ampel

In diese Kerbe schlägt auch Lindner. Beim Angriff gegen den grünen Bürokratismus bei der Kindergrundsicherung ist der FDP-Mann bei sich. Das Vorhaben habe „das Stadium der Absurdität“ erreicht, lästert der FDP-Chef. Was die grüne Ministerin Lisa Paus anstrebe, verhindere, dass Leute arbeiten gehen und schaffe nur überflüssige neue Bürokratie. Das klingt fast wie eine rote Linie und eine Kampfansage. Aber nur fast: Lindner achtet ziemlich genau darauf, als FDP-Chef auf dem Parteitag keine definitiven Ansagen zu machen, die seinen Spielraum als Finanzminister im Kabinett zu sehr einengen.

Susanne Kayser-Dobiey, Delegierte aus Frechen, äußert auf dem Parteitag leise Kritik an dem 12-Punkte-Papier. Vom Podium aus kritisiert sie zuerst Wolfgang Kubicki, der in gewohnter Manier gegen die Koalition herzieht. „Ich kann nur davor warnen, den Grünen in der öffentlichen Debatte zu trauen“, so Kubicki. Wenn nicht über eine Stärkung der Wirtschaft gesprochen werde, „wird es keine Zukunft in dieser Koalition geben“.

Kayser-Dobiey sagt gegenüber der taz, ihr gefalle der Duktus des Vorschlags zur Wirtschaftswende nicht, wenn dort von Kürzungen der Sozialleistungen die Rede sei. „Ich verstehe den Impuls, aber das hilft doch den Arbeitgebern nicht.“ Grundsätzlich stehe dort aber trotzdem „viel Richtiges“ drinnen. Die Stimmung in der Partei beschreibt sie als „kämpferisch“. Die FDP sei, was die Umfragen betreffe, „Kummer gewohnt“ und könne damit besser umgehen, als die SPD oder die Grünen.

Lindner klingt eher bemüht, als er erwähnt, was die FDP in der Ampel erreicht habe, etwa beim Bürokratieabbau in Deutschland. Der werde allerdings von EU-Regeln und dem Lieferkettengesetz – für Lindner Inbegriff der verachteten Verbotskultur – zunichtegemacht.

Alaa Khal, den Lindner in seiner Rede erwähnt, findet die Initiative für die Wirtschaftswende gut. Er sagt, dass er auch seinen Beitrag dafür leisten wolle, dass es in Deutschland wirtschaftlich weiter vorangehe. Zusammen mit drei weiteren Mitstreitern hat er das Software-Unternehmen New Starters gegründet, das Geflüchteten in Deutschland gebündelt Informationen zur Integration in Deutschland bieten soll – vom Bankkonto, zur Versicherung, bis zu Fragen rund um Aufenthalt und Arbeit. Das größte Hemmnis sieht er in Deutschland darin, dass Ausländer als minderwertig betrachtet würden. Bei der Integrationspolitik habe er da durchaus auch seine Differenzen mit der FDP.

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