„Agenten-Gesetz“ in Georgien: Gegen alle Proteste durchregiert

Georgiens Parlament verabschiedet gegen massiven Widerstand aus der Bevölkerung das umstrittene Gesetz. Das könnte den EU-Beitritt gefährden.

Eine Frau mit wallendem Haar ist in eine Georgische-EU-Fahne gehüllt und steht einer Polizeikette gegenüber

Der Widerstand konnte das umstrittene Gesetz diesmal nicht stoppen: Szene aus Tbilissi am Dienstag Foto: Shakh Aivazov/ap

BERLIN taz | Allen Massenprotesten und internationalen Warnungen zum Trotz: Das georgische Parlament hat am Dienstag in dritter Lesung das Gesetz über die „Transparenz ausländischen Einflusses“ gebilligt. Laut dem Sender Rustavi-2 stimmten 84 Abgeordnete dafür, 30 dagegen. Kurz darauf versuchten De­mons­tran­t*in­nen die Absperrung vor dem Parlament zu durchbrechen und in das Gebäude einzudringen.

Dem Gesetz zufolge müssen sich Nichtregierungsorganisationen und Medien, die zu mehr als 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden, künftig als „Vertreter ausländischer Interessen“ registrieren lassen. Bei Zuwiderhandlungen drohen Strafen. Ein fast gleichlautendes Gesetz hatte die Regierungspartei Georgischer Traum (KO) bereits im März 2023 ins Parlament eingebracht. Das Vorhaben musste jedoch nach wochenlangen Protesten, die teilweise in gewaltsame Zusammenstöße ausarteten, fallen gelassen werden.

Dieser „Etappensieg“ der politischen Oppositionsparteien sowie von Teilen der Zivilgesellschaft war mit ein Grund dafür, dass Brüssel der Südkaukasusrepublik im vergangenen Dezember den von Tausenden sehnsüchtig erwarteten und frenetisch bejubelten Status eines EU-Beitrittskandidaten gewährte. Umfragen zufolge unterstützt eine deutliche Mehrheit der Ge­or­gie­r*in­nen konstant die euro-atlantische Integration ihres Landes.

Seit die KO das Gesetz im vergangenen April aber wieder aus der Versenkung geholt hat, gehen erneut fast täglich Zehntausende in der Hauptstadt Tbilissi und anderen Städten auf die Straße. Neben georgischen sind EU-Flaggen bei jedem Protest omnipräsent. Die Protestierenden erkennen in der neuen Regelung, die sie als „russisches Agentengesetz“ bezeichnen, eindeutig die Handschrift des Kremls. In Russland ist ein derartiges, mehrfach verschärftes, Gesetz seit 2012 in Kraft und die dortige Zivilgesellschaft mittlerweile effizient zum Schweigen gebracht.

Die georgische Regierung begründet ihr Vorhaben mit der Notwendigkeit, mehr Transparenz im zivilen Sektor schaffen zu wollen. Organisationen, die Mittel aus dem Ausland erhielten, seien eine Quelle für Radikalisierung und Polarisierung in Georgien, hatte der KO-Fraktionschef Mamuka Mdinaradze im April gesagt.

Worum es jedoch in Wahrheit geht, zeigen auch die Reaktionen der Regierung auf die Proteste. So gingen Polizeikräfte mehrmals mit äußerster Brutalität gegen die De­mons­tran­t*in­nen vor. Dabei wurden auch Jour­na­lis­t*in­nen sowie Politiker Opfer von tätlichen Übergriffen. Überdies wurden Ak­ti­vis­t*in­nen von Schlägertrupps bedroht und angegriffen, wie sozialen Medien zu entnehmen ist.

Ministerpräsident Irakli Kobachidse hatte bei einer Pressekonferenz am Montag gesagt, dass der KO an seiner Entscheidung festhalten werde. Diese stimme mit dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung überein. Das Gesetz leiste einen bedeutenden Beitrag, um die politische Polarisierung in der Gesellschaft zu beenden. Genau das ist eine von neun Forderungen der EU-Kommission in Zusammenhang mit der Zuerkennung des Kandidatenstatus. Auch eine weitere Aussage von Kobachidse am Monat ist bemerkenswert: Niemand außerhalb von Georgien könne den Schutz der nationalen Interessen des Landes behindern, sagte er.

Damit sind vor allem die westlichen Staaten gemeint. Die USA erwägen wegen des „Agentengesetzes“ Sanktionen, auch die EU ist aufgerufen. Am Montag forderten 12 Au­ßen­mi­nis­te­r*in­nen aus der EU, darunter auch die deutsche Ministerin Annalena Baerbock, den Brüsseler Chefdiplomaten Josep Borrell dazu auf, die Auswirkungen des Gesetzes auf den Beitrittsprozess Georgiens zu prüfen. Das hat die georgische Staatspräsidentin und erklärte Kri­ti­ke­r*in der Regierung, Salome Surabischwili, bereits getan. Sie hat ein Veto gegen das Gesetz angekündigt. Laut dem Webportal jam.news beginnt damit eine Frist von zwei Wochen, innerhalb derer über das Gesetz noch einmal diskutiert werden muss.

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