Hauptsache unsichtbar

Man hatte es so gut gemeint. Um Frauen vor Gewalt und Prostitution zu schützen, sollten in Schweden die Freier nichts mehr zu kaufen haben. Doch seit es verboten ist, für Sex zu bezahlen, haben sich die Geschäfte lediglich in private Bordelle verlagert. Der Straßenstrich ist zwar leer gefegt, doch die Abhängigkeit der Prostituierten von Zuhältern hat sich vergrößert. Eine Reportage  ■ von Reinhard Wolff

Schert euch zum Teufel! Glaubt bloß nicht, daß mich eure Scheißfilmerei stört. Ich mache hier nichts Verbotenes. Verdammte Bullen!“ Sie ist Anfang Zwanzig, schmal, rothaarig. Trotz bitterer Kälte ist sie stundenlang den Straßenstrich am Rosenlund auf- und abgegangen oder stand an irgendeine Hausfassade gelehnt, hat gewartet und gewartet. Auf einen Kunden, der ihr das Geld gibt, um eine neue Kapsel zu kaufen. Die Wirkung der letzten läßt langsam nach. Und dann steigen auch noch die „verdammten Bullen“ aus ihrem roten Privatauto, mit dem sie ständig die Runde machen. Alle hier wissen, daß es ein getarntes Polizeifahrzeug ist, aus dem heraus sie mit ihrer Videokamera filmen und alle „verdächtigen“ Autonummern notieren.

Der Polizeibeamte Hasse L. bekommt einen Schlag ins Gesicht – mit der Handtasche, die die Rothaarige beim Schreien wild umherschleudert. Er hält ein Taschentuch unter die blutende Nase. „Kein Grund, eine Affäre draus zu machen“, sagt er gutmütig. „Viele sind total schlecht drauf. Das kann man verstehen. Sie brauchen die nächste Kapsel oder den nächsten Schuß. Und es gibt kaum Kunden.“

Hasse L. weigert sich, seine Meinung zu dem zu äußern, wozu ihn der Dienstplan hier verdonnert hat: auf dem Straßenstrich nach Freiern zu fahnden. Denn seit Jahresanfang ist der Kauf sexueller Dienste in Schweden strafbar. Nur ein Fünftel der Frauen, die sonst auf dem Göteborger Straßenstrich angeschafft haben, sei jetzt noch draußen, eher vielleicht noch weniger, sagt er. Gleiche Beobachtungen hat die Polizei in Stockholm und Malmö gemacht. Das Gesetz scheint also Wirkung gezeitigt zu haben. Oder ist es doch nur die Januarkälte?

Eva kommt aus Polen. Sie kann nur ein paar Brocken Schwedisch, spricht aber recht gut Englisch. Nein, sie könne eigentlich nicht klagen, sagt sie, auch wenn sie jetzt schon fast drei Stunden vergeblich gewartet habe. „Die Kunden sind weniger geworden, die Konkurrenz aber auch.“ Verschwunden sind vor allem die „Touristinnen“; junge Frauen aus Estland, Lettland und Rußland, die regelmäßig für ein, zwei Nächte hier auftauchen.

Eva hat diese „Touristinnenphase“ hinter sich und muß keine Polizeirazzia und drohende Ausweisung mehr fürchten. Sie ist über eine Heirat zu einer Aufenthaltserlaubnis gekommen.

Vom Straßenstrich sind die Osteuropäerinnen schlagartig mit der Neujahrsnacht verschwunden. Aber nicht aus dem Gewerbe. Eva hat beobachtet, wie sie schon im Herbst damit begannen, Visitenkarten mit Handynummern an ihre Kunden zu verteilen. „Entweder haben sie sich Wohnungen angemietet, die dann zwischen ihnen reihum gehen und wo sie die Kunden empfangen. Oder Zuhälter organisieren das für sie.“

Eine Vermutung, die auch der Polizeibeamte Hasse L. hegt: „Wir haben ein paar Privatwohnungen in den Vororten in Verdacht. Aber es ist fast unmöglich, die zu überwachen.“ Damit zeichnet sich genau die Entwicklung ab, vor der KritikerInnen des neuen Gesetzes von Anfang an gewarnt haben: Der Strich verlagert sich von der Straße in private Bordelle. Die Macht der Zuhälter und die Abhängigkeit der Prostituierten wächst.

„Linda“, die nur ihren Szenenamen sagen will und eine der drei letzten verbliebenen Frauen ist, die heute nacht am Rosenlund auf Kundschaft warten – „sonst waren wir immer zwanzig bis dreißig“ – hält das neue Gesetz für gar nicht so schlecht: „Im Prinzip. Es könnte für viele Prostituierte eine wirkliche Hilfe sein, wenn man gleichzeitig massiv etwas tun würde, um die Mädchen zu unterstützen.“ Aber genau das sei nicht geschehen. „Es ist für die Katz, wenn der Sozialamtsleiter in einem Zeitungsinterview die Prostituierten auffordert zu kommen und Hilfe zu beantragen. Es kommt keine“, sagt sie. „Da müssen sie aus ihren Büros auf die Straße, die Drogenabhängigen direkt ansprechen, ihnen sofort und auf der Stelle eine Alternative anbieten.“ Das neue Gesetz bringe sie sonst um. „Die können nichts anderes als klauen und sich verkaufen, um an Geld für die nächste Kapsel zu kommen. Jetzt nimmt man ihnen die Kunden weg und hilft ihnen nicht. Die drehen durch, knallen sich immer mehr dreckige Ware rein. Die bringen sich um.“

Linda scheint zu den Frauen zu gehören, die trotz aller Mythen von der „Luxusprostitution“ jede Woche ein paar Stunden auf die Straße gehen, weil sonst das Geld für Miete und Essen nicht reicht.

Eine Gruppe, die nach Einschätzung der Sozialarbeiterin Karin Klang bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes die Mehrheit der Straßenprostituierten ausmachte. „Die Politiker sind so weltfremd“, sagt Klang. „Die meinen: Sollen sie doch zum Sozialamt gehen, wenn's nicht reicht. Die verstehen nicht, daß hinter jeder Prostituierten eine Geschichte steht und daß Frauen, die lieber auf den Strich gehen als zum Amt, die absolut nichts mit Behörden zu tun haben wollen, dies aufgrund individueller Erfahrungen und erlebter Erniedrigung machen.“

Und wenn es um Hilfe gehe, so müsse man auch die Kunden einbeziehen. Männer, die sich Sex kaufen, seien „keine gewöhnlichen Männer“. Auch wenn sie Arbeit, Haus, ja Familie und Kinder hätten, seien sie „gestört“, was ihre Fixierung auf die Prostituierten und das dortige Milieu angehe. Statt zu kriminalisieren, müsse auch hier Unterstützung ansetzen: „Die Männer wollen Hilfe und nehmen sie auch an, wenn man sie ihnen richtig anbietet.“ Das neue Gesetz, die Polizeirazzien und der leer gewordene Straßenstrich gaukle der Bevölkerung vor, daß der Staat etwas tue. Es werde aber nur neues Elend für die Prostituierten geschaffen.

Inger Segelström und die Frauen vom sozialdemokratischen Frauenverband, die das Gesetz initiiert haben, glauben hingegen fest an die Wirkung des Verbots. Dadurch, daß die Prostitution erschwert werde, würde man „junge Mädchen abschrecken, diesen Weg zu gehen“. Und die Prostitution aus dem Osten werde gestoppt. Jede Drogenabhängige „kann mich persönlich anrufen“, wenn ihr Hilfe verweigert wird, beteuert Segelström.

Zwei Jahre möchte die Politikerin dem Gesetz erst einmal geben. Danach könne diskutiert werden, es entweder abzuschaffen oder die Arbeit der Prostituierten ebenfalls unter Strafe zu stellen – falls sich zeigt, daß die Schwierigkeiten, den Freiern etwas nachzuweisen, ansonsten unüberwindbar sind. Wie nämlich will man juristisch einen versuchten oder vollendeten Sexkauf ohne Geständnis des Kunden oder der Prostituierten beweisen?

In einem ersten Gerichtsverfahren wurde ein betrunkener Mann angeklagt, der dabei erwischt worden war, wie er Geld an einem Bankautomaten holte, während eine Prostituierte im Auto wartete. Das Urteil: Freispruch. Ihm wurde nicht nachgewiesen, daß es um käuflichen Sex ging. Er könnte ja auch dafür bezahlt haben, mit ihr zu reden.

„Wenn, dann wäre es allenfalls sinnvoll gewesen, auch die Frauen zu kriminalisieren“, urteilt Rolf Edin, Kriminalinspektor und ehemaliger Chef der Prostitutionsgruppe der Stockholmer Polizei. „Dann hätten wir wenigstens nicht mehr die Mädchen aus dem Osten, deren Zuhälter und all die Privatbordelle, die jetzt wie Pilze aus dem Boden geschossen sind.“

Das neue Gesetz sei das Ergebnis eines falsch verstandenen Feminismus. „Es läßt nur die Älteren und die Drogenabhängigen verschwinden – ohne Hilfe, ohne Geld“, kritisiert Edin. Übersehen habe man auch, daß durch das Gesetz neue Kriminalität entsteht: „Die Kunden sind jetzt absolut erpreßbar geworden. Die Zuhälter können die jetzt total ausnehmen. Wenn die Kunden zur Polizei gehen, riskieren sie selbst eine Haftstrafe, und welcher verheiratete Mann wagt denn überhaupt, eine Anzeige zu machen?“

Katarina Lindahl, Generalsekretärin des „Reichsverbands für sexuelle Aufklärung“ (RFSU), glaubt, daß die Prostituierten – entgegen allen guten Absichten – den höchsten Preis für die Neuregelung zahlen müssen. „Das Gesetz wurde unter dem Vorzeichen, Gewalt gegen Frauen bekämpfen zu wollen, verabschiedet. Die Frage ist aber eher, ob sich in dieser Beziehung die Situation der Prostituierten nicht verschlechtert hat. Von den bekannten Orten wurde die Prostitution ins Verborgene abgedrängt. Das Risiko für die Frauen ist damit nur größer geworden.“

Auch in den Cyberspace hat sich die Prostitution verlagert. Seit Jahresbeginn gibt es immer mehr Homepages – wie „Carina, 18 Jahre“ oder „Sandras und Julias Escortservice“ –, auf denen neben einer E-Mail-Adresse und Handynummer eine Preisliste für alle möglichen „Dienste“ vom „einfachen Oralsex“ für 600 Kronen (130 Mark), dem Analsexzuschlag von 1.000 Kronen (220 Mark) bis hin zu einer „ganzen wilden Nacht“ für 12.000 Kronen (2.600 Mark) ausliegt.

Unterdessen haben am unteren Ende der Rosenlundstraße, an der Fischmarkthalle „Feskekörkan“, die Mannschaften von drei Polizeiwagen eine Polizeikontrolle eingerichtet. Die FahrerInnen aller Autos müssen ins Alkoholröhrchen blasen und ihre Führerscheine zeigen. Offiziell eine gewöhnliche Verkehrskontrolle, wie sie in dieser Gegend seit Anfang des Jahres auffallend häufig stattfinden.

Daß man dabei „zufällig“ auch bekannte Frauen des ehemaligen Straßenstrichs registriert und den einen oder anderen Mann mittlerweile als Zuhälter in Verdacht hat, gilt als „Nebeneffekt“. Was sich hinter diesen Überprüfungen verbirgt, erkennt selbst eine Gruppe angeheiterter Passanten aus Norwegen: „Schau, die Schweden sind mal wieder auf Prostitutionskontrolle“, flachst einer, „jetzt wollen sie die Welt im Alleingang vor einer jahrtausendealten Sünde befreien.“

Reinhard Wolff, 49, lebt in einem kleinen Dorf südlich von Stockholm, schreibt seit 1984 für die taz und ist seit 1989 taz-Korrespondent für Skandinavien