Soziologe Holm über Mietpreisbremse: „Verdrängung ist kein Naturgesetz“

Bald greift die erste Mietpreisbremse. Der Stadtsoziologe Andrej Holm analysiert ihre Schwächen – und schlägt andere Maßnahmen vor.

zwei Altbaufenster

Die neue Mietpreisbremse gilt nur, wenn Wohnungen wieder vermietet werden. Foto: dpa

taz: Wem nützt die neue Mietpreisbremse, die ab 1. Juni erst einmal nur in Berlin gilt?

Andrej Holm: Profitieren werden Menschen, die ein durchschnittliches und überdurchschnittliches Einkommen haben. Menschen in Wohnungsnotlagen bringt die Maßnahme nichts. Wenn Mieten auf zehn Prozent über dem Durchschnitt begrenzt werden, dann freut das vor allem jene, deren Einkommen auch zehn Prozent über dem Durchschnitt liegen. Alle die weniger verdienen, brauchen auch Mietpreise unterhalb des Durchschnitts. Was den Mangel an leistbaren Wohnungen angeht, hat die Mietpreisbremse nichts zu bieten.

Kommt die Mietpreisbremse zu spät? Viele Wohnungen sind ja jetzt schon sehr teuer.

Es ist absurd zu glauben, eine Regelung, die unzureichend ist, hätte bei früherem Inkrafttreten eine bessere Wirkung erzielt. Was fehlt ist eine Wohnungspolitik, die soziale Anforderungen der Wohnungsversorgung auch gegen private Verwertungsinteressen durchsetzt. Die handzahme Mietpreisbremse tut dies nicht. Gerade in den Städten mit angespannten Wohnungsmärkten locken hohe Neuvermietungsmieten oder Verkaufspreise nach einer Umwandlung. Die Preise für Grundstücke und Häuser sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen, weil Investoren mit den künftigen Einnahmen kalkulieren. Je stärker sich diese Ertragserwartungen von den Bestandsmieten entkoppeln, desto höher der Verdrängungsdruck für die Mieterinnen und Mieter. Was wir brauchen, ist eine Verwertungsbremse, die diese Ertragslückenspekulation beim Handel mit Grundstücken einschränkt.

Hat sich diese Situation verschärft? Gehen Vermieter heute härter gegen Mieter vor als früher, wenn die Chance auf höhere Neuvermietung besteht?

Würde ich nicht sagen. Die Immobilieneigentümer haben immer sehr viel dafür getan, Mieter aus ihren Wohnungen zu verdrängen. Überall wo Ertragssteigerungen locken und immer dann, wenn die Möglichkeit besteht, versuchen Eigentümerinnen und Eigentümer ihre Interessen auch gegen die Mieterschaft durchzusetzen.

Dagegen müsste doch die Mietpreisbremse helfen, denn schließlich begrenzt sie ja die möglichen Neuvermietungsmieten.

Die Mietpreisbremse bietet leider keinen Schutz vor Verdrängung, weil der Gesetzgeber der Eigentümerseite zu viele Ausnahmen zugesteht. Neubauten, umfassende Modernisierung und Umwandlung in Eigentumswohnungen sind von den Regelungen der Mietpreisbremse ausgenommen. Überall dort, wo durch einen Mieterwechsel hohe Ertragssteigerungen locken, werden diese Lücken konsequent ausgenutzt werden. Daneben bringt das Gesetz eine Reihe von praktischen Problemen mit sich. So sind Wohnungen, die umfassend renoviert werden, drei Jahre von der Mietpreisbremse ausgenommen. Es wurde aber nicht exakt definiert, was mit „umfassend renoviert“ gemeint ist. Da wird es viele Rechtstreitigkeiten geben.

44, ist deutscher Sozialwissenschaftler und forscht als Stadtsoziologe zu Gentrifizierung und Wohnungspolitik. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Glauben Sie, dass Vermieter verstärkter umfassende Renovierungen geltend machen werden?

Ja, die Mietpreisbremse definiert schließlich die Ausnahmen. Die Regelung bietet einen Anreiz für Eigentümer oder Vermieter, diese Lücke auch zu nutzen. Die Eigentümer werden sehr geschickt sein, diese Möglichkeiten auszuloten.

Ist nicht das eigentliche Problem der Wohnungsmangel?

Ja, denn die Preise steigen dort, wo tatsächlich zu wenige Wohnungen zur Verfügung stehen. In schrumpfenden Städten, wie Halle oder Chemnitz, spielt die Mietpreisdynamik keine so große Rolle. Durch die Mietpreisbremse entstehen keine neuen und vor allem keine preiswerten Wohnungen.

Die Immobilienbranche beklagt, dass die Mietpreisbremse Neubauten verhindern und Investoren abschrecken würde.

Es ist das Geschäft der Immobilienlobby, jede Störung ihres Geschäfts zu kritisieren. Den lautstark angekündigten Investitionsstreik der Bauherren wird es aber nicht geben, Neubauten sind schließlich von der Mietpreisbremse ausgenommen.

Was müsste die Politik aus Ihrer Sicht tun?

Die aktuelle Situation ist Ergebnis eines langjährigen Versagens der Wohnungspolitik. Zur Zeit wird versucht die Fehler, die durch die massiven Privatisierungen, die Kürzungen der Wohnbauförderung und eine weitgehende Liberalisierung des Städtebaurechts entstanden sind, durch ungeeignete Instrumente wieder gut zu machen. Auf Dauer wird das in Großstädten mit sozialen Spannungen nicht ausreichen. Es muss auf kommunaler Ebene der soziale Wohnungsbau gefördert werden. Und es müssen Menschen unterstützt werden, die besonders schwer eine Wohnung finden.

In manchen Straßenzügen in Großstädten gibt es mittlerweile vor allem Ferienwohnungen.

In Berlin gibt es inzwischen das Zweckentfremdungsverbot. Dadurch soll künftig die Umwandlung in Ferienwohnungen verhindert werden. Ob es jedoch hilft, den Boom einzudämmen, wird davon abhängen, ob das Personal in den Ämtern mit ausreichend Sanktionspotenzial ausgestattet wird.

Kann man überhaupt noch gegen Gentrifizierung vorgehen?

Man kann. Und man sollte auch! Aufwertung und Verdrängung sind schließlich kein Naturgesetz und es gibt ja bereits zahlreiche Initiativen, die dagegen vorgehen. In vielen Städten wehren sich Hausgemeinschaften gegen Modernisierungsvorhaben, Umwandlungen und Mieterhöhungen, und in Berlin mobilisieren Initiativen zur Zeit für einen Mietenvolksentscheid, mit dem ein eigenes Gesetz zur Sozialen Wohnraumversorgung durchgesetzt werden soll. Weil die Politik versagt, nehmen Mieterinnen und Mieter die Wohnungsfrage nun selbst in die Hand.

Wäre es sinnvoller gewesen, die Mietpreisbremse bundesweit einheitlich einzuführen? Wo sie jetzt kommt, legen ja die Bundesländer fest.

Könnte eine Überlegung wert sein. Allerdings ist es weniger sinnvoll, ein zahnloses Instrument besser zu machen um eine breite Anwendung zu finden. Die Wirkung hätte es nicht verstärkt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.