Rechte Ecken in Berlin (Teil 6): Die Rudower Spinne: Das Nazinetz im Westen

An der Rudower "Spinne" treffen sich die Neonazis aus dem Süden Neuköllns. Sie sind besonders aktiv, brutal und einflussreich in der rechten Szene Berlins.

An der "Spinne" haben deutsche Saubermänner was gegen orientalische Einflüsse Bild: DPA

Im Sommer sieht Brigitte Gursch sie jeden Abend. Vor dem Imbiss Ketchup an der Kreuzung treffen sie sich. Rauchen würden sie, Bier trinken, manchmal auch herumgrölen. "Was junge Leute eben so machen", hatte sich die 63-jährige Rentnerin anfangs gedacht, wenn sie die Jugendlichen von ihrer Wohnung im dritten Stock aus sah. Doch vor einiger Zeit erkannte Brigitte Gursch, mit wem sie es zu tun hatte. Die örtliche SPD hatte damals zum jährlichen Straßenfest geladen. Dieselben Jugendlichen, die sie jeden Abend sah, waren auch da. Doch plötzlich waren sie nicht mehr "normal". Sie griffen den SPD-Stand an, riefen fremdenfeindliche Parolen und zeigten den Hitlergruß. "Ich hätte die Neonazis allein am Aussehen nicht erkannt."

Ein mit Büschen spärlich bepflanzter Parkplatz, trostlose drei- bis viergeschossige Gebäude aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren, wie es sie in Westdeutschland vor allem in mittelgroßen Städten zahlreiche gibt -, das ist die Kulisse. Dazu eine alte Kirche sowie eine ehemalige Dorfschule, die beweisen, dass Rudow zur Jahrhundertwende tatsächlich mal ein Dorf war. Apotheke, Fahrschule und Arztpraxen auf der einen, Supermarkt und Drogerie in einem weißen Klotz auf der anderen Seite. Eine stinknormale Straßenkreuzung, könnte man meinen. Doch der Eindruck täuscht: Wer an der Endhaltestelle der U 7 im tiefsten Neuköllner Süden aussteigt, befindet sich an einem der beliebtesten Treffpunkte der rechtsextremen Szene in Berlin: die Rudower Spinne.

Rechtsextremismus ist überall in Berlin anzutreffen. Einige Ecken der Stadt sind jedoch besonders betroffen. Das zeigt eine Studie über "Rechte Gewalt", die der Berliner Verfassungsschutz vorgelegt hat. Demnach gibt es vor allem in Lichtenberg und dem südlichen Neukölln Kieze, in denen sich Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund häufen. Auch weil dort viele Täter wohnen. Die taz hat sich vor Ort umgesehen. Alle bisher veröffentlichten Beiträge der Serie unter www.taz.de/berlin

"Die Mehrheit der registrierten rechten Gewalttaten in Berlin zwischen 2003 und 2006 haben sich auf einige wenige Ortsteile konzentriert", heißt es in einer Broschüre über rechte Gewalt, die der Berliner Verfassungsschutz Anfang des Jahres veröffentlicht hat. Etwa die Hälfte der rund 300 Delikte habe sich in nur 7 der insgesamt 92 Berliner Ortsteile ereignet, schreiben die Verfassungsschützer. Fünf davon liegen im Ostteil der Stadt, zwei im ehemaligen Westberlin. Einer dieser beiden Ortsteile heißt Rudow. So lauten die Daten der Verfassungsschützer. Und laut der Senatsverwaltung für Inneres steigt seit Mitte 2007 gerade die Zahl rechter Propagandadelikte genau hier massiv an.

Auch Antifas beobachten die Entwicklung genau: Laut ihren Erkenntnissen verprügelten im April 2003 insgesamt 25 Neonazis am U-Bahnhof Alt-Rudow sechs Jugendliche mit migrantischem Hintergrund mit Baseballschlägern. Im August 2006 wurde an der Spinne ein Stand der Linkspartei und des Bündnisses "Gemeinsam gegen rechts" mit Flaschenwürfen und Böllern angegriffen. Im September 2006 waren Rudower Neonazis an einem Angriff auf linke Jugendliche in Friedrichshain beteiligt. Mitte Oktober 2007 fand die Polizei während einer Hausdurchsuchung bei einem 18-Jährigen in Rudow eine Schusswaffe. Und ein 16- und ein 18-Jähriger stehen im Verdacht, im Frühjahr Brandanschläge auf ein Einfamilienhaus im Fenchelweg und ein Haus im Orchideenweg verübt zu haben, die von Deutschen mit Migrationshintergrund bewohnt werden. Auch diese beiden gehören zur rechten Clique der Rudower Spinne.

Die "Spinne", wie sie von den Rudowern selbst liebevoll genannt wird, ist vor allem ein Verkehrsknotenpunkt. Als "Eingangstor Berlins im Süden von Neukölln" bezeichnet sie eine lokale Webseite. Hier kreuzt sich die Neuköllner Straße mit den großen Zubringern aus Brandenburg sowie Straßen, die in die Ostberliner Bezirke Lichtenberg und Treptow-Köpenick führen. Diese Wege dienen wohl auch den Neonazis als Zubringer, glaubt Oliver Henschel. Der 32-Jährige ist SPD-Ortsvorsitzender in Rudow und Mitbegründer des "Aktionsbündnisses für Demokratie und Toleranz und gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit". Lange wollten viele Rudower die Rechtsextremisten überhaupt nicht als ihr Problem wahrnehmen, erzählt er. Sie wurden als Import aus dem Osten abgetan. Erst nachdem die Hakenkreuzschmierereien nicht mehr zu übersehen waren und die Neonazis sogar einen Infostand der CDU angriffen, regte sich der Widerstand auch in bürgerlichen Kreisen.

Dabei hatte der Verfassungsschutz in seinen Studien längst festgestellt, dass Rechte ihren Lebensraum als Revier empfinden. 38 Prozent der Gewaltdelikte würden im Umkreis von 2,5 Kilometern um den Wohnort der Tatverdächtigen verübt. So auch in Rudow. Mindestens einer der mutmaßlichen Täter des jüngsten Brandanschlags wohnt in der unmittelbaren Umgebung des Tatorts. Nach Erkenntnissen der Neuköllner Antifa gehört er zu den Mitbegründern der Kameradschaft "Division Rudow".

Henschel berichtet von regelmäßigen Rundgängen des Aktionsbündnisses. Anwohner treffen sich mit Putzeimer und Lappen und schrubben die Nazisymbole von den Stromkästen, Laternenpfählen und Gartenmauern. "Es kommen zwar immer dieselben", sagt Henschel, "aber immerhin stoßen unsere Aktionen auf Zustimmung." Das sei nicht selbstverständlich.

Die Nähe zur Antifa vermeidet das Aktionsbündnis. "Wir haben die gleichen Ziele", sagt Henschel. Aber das Aktionsbündnis habe klar von Gewalt abgeschworen - egal ob von rechts oder von links. Er persönlich wisse die Arbeit der Antifa zu schätzen. Ihm sei aber das breite Spektrum einschließlich Gewerbetreibender und CDU-Kreise wichtiger. Anders als der Rest von Neukölln ist Rudow tief schwarz.

Dabei kennt niemand die rechtsextreme Szene so gut wie die Antifa. In Neukölln nennen sich ihre Aktivisten "Antifaschistisches Bündnis Südost", kurz Abso. Der 23-jährige Marc, der mit echten Namen nicht genannt werden möchte, ist einer von ihnen. Seine Gruppe deckt den gesamten Südosten von Berlin ab, also auch Lichtenberg und Treptow-Köpenick. Marc selbst ist inzwischen nach Kreuzberg gezogen, hat aber lange in Rudow gelebt. Jeden Neonazi dort kenne er beim Namen, selbst ihre Adressen seien ihm bekannt. In einer eigenen Informationsbroschüre (www.abso-berlin.tk) hat seine Gruppe Neonazis einzeln fotografiert. "Wir wollen potenzielle Opfer schützen", rechtfertigt Marc die Observationen.

Nach seiner Einschätzung hat sich die Situation in letzter Zeit leicht entschärft. Besonders aggressive Neonazis aus Rudow säßen inzwischen im Knast oder hätten sich zurückgezogen. In den vergangenen zwei Jahren hätten sich in Neukölln organisierte Strukturen zwar verfestigen können, und auch innerhalb der Berliner Neonazi-Szene sei der Einfluss der Rudower Kameraden gewachsen. Nicht zuletzt ihre Arbeit und der "zivilgesellschaftliche Protest sowie die zunehmende polizeiliche Aufmerksamkeit" zeigten Wirkung.

Grund zur Entwarnung sieht er allerdings nicht. Alte Kader wie der Gründer der inzwischen verbotenen Kameradschaft Baso, René Bethage, würden weiter Rekrutierungsarbeit leisten. So gebe es bereits eine zweite Generation im Alter zwischen 15 und 19 Jahren, die in die Fußstapfen der Älteren treten. Aktuelle Übergriffe kämen vor allem von diesen jungen Nachwuchskräften; meist seien sie nicht von langer Hand geplant, sondern spontan. Aktuell zählt die Abso 20 aktive Neonazis im Neuköllner Süden mit einem Mobilisierungspotenzial von weiteren 20 Sympathisanten. Das deckt sich mit den Zahlen des Verfassungsschutzes: 20 bis 30 gewaltbereite Rechtsextremisten, die zur "Aktionsgruppe Rudow" gehörten, zählt das Landesamt.

Und dann gibt es noch die NPD. Bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung 2006 erhielt die rechtsextreme Partei in Neukölln 3,9 Prozent der Stimmen, sie schickt mit Thomas Vierk und Jan Sturm zwei Abgeordnete ins Bezirksparlament. Damit haben die NPD-Vertreter zwar keinen Fraktionsstatus und können im Parlament nur wenig bewirken, Innensenator Ehrhart Körting (SPD) warnt dennoch vor ihrer vor allem außerparlamentarischen Wirkung: Die Funktionäre der rechten Partei würden zwar nicht selbst zuschlagen, mit ihrer "rassistischen Propaganda schaffen sie aber ein Klima, in dem solche Taten gedeihen".

Dass Körting diesen Aspekt besonders betont, ist kein Zufall. Er gilt als besonders vehementer Befürworter eines NPD-Verbots. Das Beispiel in Neukölln zeigt, dass an Körtings Worten durchaus was dran ist. Beide Verordnete sehen sich als Vertreter der gewalttätigen Neonazi-Szene und waren auf Kameradschaftsdemonstrationen auch schon als Redner aufgetreten.

SPD-Ortschef Oliver Henschel blickt auf die Rudower Spinne. Es gibt viele Gründe, warum die Neonazis im Süden Neuköllns so aktiv sind. Die Frage, warum die Neonazis ausgerechnet diesen Platz als Treffpunkt gewählt haben, kann er nicht beantworten. Henschel zeigt auf ein Straßenschild: "Rudower Spinne" steht darauf - in altdeutscher Schrift. Das wäre eine zu plumpe Erklärung, sagt er und lächelt gequält. Als würde er denken: Vielleicht ist da doch was dran.

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